Rechtsprechung: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 2 S 87.08
OVG Berlin-Brandenburg: Verunstaltung des Landschaftsbildes durch Werbeanlagen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgBO)
Werbeanlagen verunstalten das Landschaftsbild i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgBO regelmäßig, wenn durch sie der Ausblick auf eine nennenswerte und nicht nur unbedeutende begrünte Fläche verdeckt wird.
(Leitsatz des Gerichts)
Bei baugenehmigungsfreien Vorhaben kann die Beseitigung grundsätzlich bereits dann angeordnet werden, wenn sie materiell baurechtswidrig sind. Die Genehmigungsfreistellung hat nämlich nicht zur Folge, dass die bauliche Anlage die für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht einzuhalten braucht (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 2 BbgBO).
(Orientierungssatz der Redaktion)
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 S 87.08
(Vorinstanz: VG Potsdam, Beschluss vom 29. September 2008 - 5 L 463/08)
Aus den Gründen:
I. Die Antragstellerin ist ein Betrieb für gartenbauliche Erzeugnisse und eine Baumschule. Sie begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die von dem Antragsgegner erlassene Beseitigungsanordnung vom 8. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2008, in der - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - die Beseitigung einer auf einem Grundstück in Zehdenick [Gemarkung Marienthal, Flur (…) , Flurstück (…)] von ihr errichteten 95 cm x 0,80 cm großen Werbeanlage verfügt wurde. Das Verwaltungsgericht hat den vorläufigen Rechtsschutzantrag abgelehnt.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.
Die Rüge der Antragstellerin, bei dem zu beseitigenden Schild handele es sich um keine Werbeanlage im Sinne von § 9 Abs. 1 BbgBO, sondern um ein Hinweisschild, mit dem sie ihrer gewerberechtlichen Verpflichtung nach § 15 a Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GewO zur Anbringung ihres Firmennamens an der Außenseite ihrer Betriebsstätte nachkomme, geht fehl. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei dem Schild um eine Werbeanlage im Sinne der Legaldefinition des § 9 Abs. 1 BbgBO handelt. Werbeanlagen, zu denen insbesondere Schilder zählen, sind alle ortsfesten Einrichtungen, die der Ankündigung oder Anpreisung oder als Hinweis auf Gewerbe oder Beruf dienen. Nach § 15 Abs. 3 Satz 2 GewO müssen juristische Personen, die eine offene Verkaufsstätte oder eine sonstige offene Betriebsstätte haben, ihre Firma oder ihren Namen in der in § 15 Abs. 1 GewO bezeichneten Weise anbringen. Das von der Antragstellerin errichtete Schild geht inhaltlich weit über die aus Gründen des Verbraucherschutzes gewerberechtlich nach § 15 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GewO geforderte Information über den Firmennamen hinaus. Sie preist gartenbauliche Erzeugnisse, wie Gemüse und Zierpflanzen an, weist auf den Betrieb der Baumschule hin und kündigt darüber hinaus an, dass die Antragstellerin auch Leistungen der Garten- und Landschaftsgestaltung erbringt.
Überdies ist das Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung der Sachlage zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass das zu beseitigende Schild nicht an der Außenseite oder am Eingang einer offenen Verkaufsstelle oder offenen Betriebsstätte im Sinne von § 15 Abs. 1 GewO angebracht wurde. Offen ist eine Verkaufs- oder Betriebsstätte, wenn sie jedermann zur Anbahnung von Rechtsgeschäften zugänglich ist (Friauf, GewO, § 15 a Rdnr. 6). Ausweislich des von der Antragsgegnerin vorgelegten Luftbildes ist das Schild an einem Standort hinter einem Zaun angebracht, der zu einem im Außenbereich gelegenen unbebauten Grundstück der Gemarkung Marienthal gehört und der sich gerade nicht in der näheren Umgebung des Betriebssitzes der Antragstellerin in Gransee befindet. Gebäude, die auf eine offene Verkaufsstätte oder eine sonstige offene Betriebsstätte hinweisen, sind auf dem Grundstück nicht ersichtlich. Der bloße Umstand, dass die Antragstellerin das Grundstück für Gehölzanpflanzungen nutzt, die als „Schaupflanzungen“ sowie zu Versuchs- und Zuchtveredelungszwecken dienen, lässt noch nicht den Schluss zu, dass das Grundstück in Marienthal eine offene Betriebsstätte ist, die regelmäßig von jedermann zur Anbahnung von Geschäften mit der Antragstellerin aufgesucht werden kann und als solches offen steht.
Abweichend von der Auffassung der Antragstellerin ist die streitgegenständliche Werbeanlage materiell rechtswidrig, weil sie gegen das umgebungsbezogene Verunstaltungsgebot des § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgBO verstößt. Werbeanlagen dürfen danach das Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass eine derartige Verunstaltung regelmäßig anzunehmen ist, wenn durch die Werbeanlage der Ausblick auf eine nennenswerte und nicht nur unbedeutende begrünte Fläche verdeckt wird (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3. Juli 1996, BRS 58 Nr. 127; OVG Bbg, Urteil vom 21. April 1993 – 3 A 104/92 -; Reimus/Semtner/Langer, BbgBO, 2. Aufl. Rdnr. 11). Anders als die Antragstellerin meint, ist es nicht erforderlich, dass der Grünfläche im Landschaftsbild eine besondere Schutzwürdigkeit zukommt oder dass die von der Werbeanlage ausgehende Beeinträchtigung des Landschaftsbildes für den Betrachter besonders belastend sein müssen. Maßgeblich ist vielmehr ein deutlich zutage tretender Widerspruch der Werbeanlage zum Landschaftsbild, der in der Regel bei der Verdeckung von Grünflächen anzunehmen ist. Hier liegt ein solcher über die bloße Unschönheit hinaus gehender Widerspruch zum Landschaftsbild vor. Der Standort der Werbeanlage befindet sich ausweislich der vorgelegten Licht- und Luftbilder in freier Landschaft, die durch Wiesen, Bäume und Gehölz geprägt ist. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass in dieser durch Grünflächen geprägten Landschaft eine Werbeanlage von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als eine Verunstaltung im Sinne des Landschaftsbildes empfunden wird.
Auch das Vorbringen der Antragstellerin, die Errichtung des Schildes sei nach § 55 Abs. 8 Nr. 1 und 8 BbgBO ein baugenehmigungsfreies Vorhaben, vermag nicht die Rechtswidrigkeit der auf der Rechtsgrundlage des § 74 Abs. 1 BbgBO erlassenen Beseitigungsanordnung zu begründen. Es geht bereits im Ansatz fehl, weil die Beseitigungsanordnung erfordert, dass die bauliche Anlage in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde. Bei baugenehmigungsfreien Vorhaben kann die Beseitigung grundsätzlich bereits dann angeordnet werden, wenn sie materiell baurechtswidrig sind. Die Genehmigungsfreistellung hat nämlich nicht zur Folge, dass die bauliche Anlage die für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht einzuhalten braucht (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 2 BbgBO). Infolgedessen kommt es nicht darauf an, ob das Schild der Antragstellerin formell baurechtswidrig ist. Unabhängig von den vorgenannten Erwägungen stellt die Errichtung des streitgegenständlichen Schildes kein genehmigungsfreies Vorhaben dar. Nach§ 55 Abs. 8 Nr. 1 BbgBO bedarf die Errichtung einer Werbeanlage an der Stätte der Leistung mit nicht mehr als 2,5 m² Ansichtsfläche keiner Baugenehmigung. Das Tatbestandsmerkmal an der Stätte der Leistung bewirkt, dass die Regelung nur dann gilt, wenn die Werbeanlage in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit der beworbenen und zu erbringenden Leistung steht (Jäde/Dirnberger/Reimus, BbgBO, § 55 Rdnr. 198). Dies ist hier nicht der Fall. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, dass sie die beworbenen Gemüse- und Zierpflanzen oder die angebauten Gehölze über ihre eigentliche Verkaufs- und Betriebsstätte in Gransee hinaus auch in räumlicher Nähe zu der Werbeanlage selbst verkauft. Allein der Umstand, dass sie in der Umgebung des Standorts der Werbeanlage Gehölze anpflanzt, führt nicht dazu, dass die Werbeanlage an der Stätte der Leistung errichtet ist.
Auch das Vorbringen, es handele sich um ein genehmigungsfreies Vorhaben im Sinne von § 55 Abs. 8 Nr. 8 BbgBO, ist unzutreffend, denn es handelt sich nicht um eine vorübergehend aufgestellte Werbeanlage an einer Baustelle. Sollte die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen auf § 55 Abs. 8 Nr. 7 BbgBO zielen, greift auch diese Norm nicht, da die Werbeanlage nicht im Geltungsbereich einer örtlichen Bauvorschrift liegt, die Art, die Größe, die Gestaltung, die Farbe und den Anbringungsort von Werbeanlagen festsetzt.
Auch die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsgegner das ihm durch § 74 Abs. 1 BbgBO eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fehlerfrei ausgeübt habe, ist nicht zu beanstanden. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Umsetzung des Schildes vor eine von ihr angepflanzte Hecke sei hier das mildere Mittel, verkennt sie, dass eine derartige Veränderung des (Mikro-) Standortes der Werbeanlage nicht geeignet ist, die Verdeckung des Ausblickes auf Grünflächen im Landschaftsbild zu verhindern.
Angesichts der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Beseitigungsverfügung vermag auch der von der Antragstellerin vorgebrachte Umstand, dass die Schrauben, mit denen das Schild an seine Halterung angebracht ist, sich nicht mehr lösen lassen und die Werbeanlage bei ihrem Abbau dadurch beschädigt würde, nicht den Schluss zu, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Beseitigungsverfügung hinter dem Suspensivinteresse der Antragstellerin zurückbliebe. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Werbeanlage nur mit einer gewissen Beschädigung ihrer Substanz abgebaut werden kann und damit im Falle eines Erfolgs in der Hauptsache nur nach etwaigen Reparaturarbeiten wieder aufgebaut werden könnte, sind die Substanzerhaltungsinteressen der Antragstellerin hier nicht so intensiv, dass sie das öffentliche Interesse an der vorläufigen Beseitigung der das Landschaftsbild verunstaltenden Werbeanlage überwiegen würden. Im Übrigen kann die Antragstellerin wohl die von ihr beschriebene Substanzverletzung weitgehend dadurch vermeiden, dass sie das Schild zusammen mit ihrem Ständer abbaut, wodurch das Lösen der Schrauben entbehrlich wäre.
Auch soweit die Antragstellerin die Festsetzung des Zwangsgeldes in Höhe von 300 € und die Bemessung der Verwaltungsgebühr in Höhe von 300 € angreift, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Entgegen ihrer Auffassung ist die dieser zugrunde liegende Beseitigungsverfügung nach der allein im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig. Auch gegen die hier erfolgte Bemessung der Höhe des Zwangsgelds sowie der Gebühr (vgl. Tarifstelle 4.3.1. der Anlage 1 zur BbgBauGebO) hat die Antragstellerin keine substantiierten Darlegungen vorgebracht.