Mitteilungen 06/2010, Seite 188, Nr. 77
Deutscher Städte- und Gemeindebund: Städte und Gemeinden stärken - Reformen anpacken - Schuldensumpf trockenlegen
In einem dramatischen Appell hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund die Bundesregierung aufgefordert endlich sicherzustellen, dass die Kommunen nicht in der Handlungsunfähigkeit versinken und damit die lokale Demokratie ihre Basis verliert. „Wenn vor dem Hintergrund der katastrophalen Finanzlage vor Ort nicht mehr ansatzweise das Notwendigste geleistet werden kann, wird die Politikverdrossenheit weiter steigen und die Bereitschaft der Bürger, sich für die Allgemeinheit einzusetzen, sinken“, sagte der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der Bautzener Oberbürgermeister Christan Schramm im Anschluss an die Präsidiumssitzung des Verbandes am 15. Juni 2010 in Mainz.
Das Regierungsprogramm für die nächsten Jahre muss lauten: Schuldensumpf trockenlegen, Reformen vorantreiben - mehr Steuern zahlen - länger arbeiten und Zukunft in Solidarität sichern.
Die konkreten Reformen müssen die kommunalen Einnahmen verbessern und die Ausgaben reduzieren. Wir halten an der Gewerbesteuer fest und bekräftigen unsere Forderung, die Gewerbesteuer durch Einbeziehung der freien Berufe zu stabilisieren.
Gleichzeitig erwarten wir, dass sich der gemeindliche Anteil an der Umsatzsteuer erhöht, damit die Kommunen von ihrem katastrophalen Defizit von 15 Mrd. Euro im Jahr 2010 herunterkommen. Wenn es dafür nötig ist, bei der Mehrwertsteuer die über 54 Ausnahmen zu reduzieren, werden wir das mittragen.
Nicht hinnehmbar ist, dass die Kommunen mit den Sozialausgaben in weitem Umfang gesamtstaatliche und gesellschaftliche Ausgaben finanzieren, ohne einen nennenswerten Einfluss auf die Ausgaben zu haben. Hier brauchen wir endlich eine Wende. Die Kommunen müssen insbesondere bei den Kosten der Unterkunft, der Eingliederungshilfe für Behinderte (13 Mrd. Euro 2009) und bei der Grundsicherung im Alter entlastet werden. Als erster Reformschritt sollte in diesem Zusammenhang eine Pauschalierung der Unterkunftskosten vorgesehen werden. Das spart Bürokratie und stärkt die Entscheidungsbefugnis des Einzelnen. Denn auch derjenige, der in Niedriglohnarbeit und von seinem Einkommen lebt, muss sich eine seinen Einkommensverhältnissen entsprechende Wohnung suchen.
Zu den weiteren Reformansätzen hat das Präsidium nachstehende Resolution verabschiedet:
Rettet die lokale Demokratie!
Städte und Gemeinden stärken, Reformen anpacken, Schuldensumpf trockenlegen
Resolution des Präsidiums des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom 15. Juni 2010
Kommunen gestalten das Leben vor Ort. Sie sollen die Kinderbetreuung verbessern, Schulen sanieren, Kultur und Sport fördern, die Jugendarbeit verbessern, Abwasser beseitigen, Sozialhilfe zahlen und mit weiteren Investitionen das örtliche Handwerk stärken. Dies alles jedoch mit immer weniger finanziellen Mitteln. Die Finanzlage der Städte und Gemeinden ist katastrophal. Sie werden von wegbrechenden Einnahmen und explodierenden Sozialausgaben in die Zange genommen. Im laufenden Jahr ist mit einem Finanzierungsdefizit von rund -15 Milliarden Euro zu rechnen. Auch die Jahre 2011 bis 2013 lassen nach der jüngsten Steuerschätzung keine Besserung erwarten. Die Sozialausgaben (2010 über 41 Milliarden Euro) werden weiter steigen. Damit geraten die Kommunen endgültig in eine strukturelle Unterfinanzierung. Ihnen droht der Verlust der Handlungsfähigkeit. Das hat gravierende Folgen für das Leben der Menschen vor Ort und führt zwangsläufig zu weniger Investitionen, zum Verfall der Infrastruktur und dazu, dass wichtige Vorhaben wie der Weg in die Bildungsrepublik, eine bessere Kinderbetreuung und die Integrationsförderung nicht im nötigen Umfang vorangetrieben werden können. Die freiwilligen Aufgaben werden zunehmend in Frage gestellt.
Damit ist nicht nur die kommunale Selbstverwaltung, sondern auch die lokale Demokratie gefährdet. Sie ist die Basis unseres Staates.
Der Bürger begegnet dem Staat in erster Linie in seiner Stadt und Gemeinde. Wenn dort nicht mehr ansatzweise das Notwendigste geleistet werden kann, wird die Politikverdrossenheit weiter steigen, die Partizipation und die Bereitschaft, sich für die Allgemeinheit einzusetzen, sinken. Die Politik muss sich bewusster werden, dass ohne die Stadt kein Staat zu machen oder auch nur zu bewahren ist.
Deshalb brauchen wir jetzt Reformen und eine Neuausrichtung unserer Gesellschaft. Die Reformen müssen dazu beitragen, dass der Sozialstaat finanzierbar bleibt und zukunftsfest wird. Gleichzeitig muss dem demographischen Wandel Rechnung getragen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhöht werden. Dies wird nur mit starken Städten und Gemeinden verwirklicht werden können. Nur wer die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden sichert, ihre Gestaltungsmöglichkeiten erweitert und die kommunale Kompetenz sinnvoll nutzt, sichert auch die lokale Demokratie.
1. Kommunale Einnahmesituation verbessern!
Gewerbesteuer reformieren:
- Bewährte Elemente bewahren und stärken.
- Schwachstellen durch Verbreiterung der Bemessensgrundlage - insbesondere durch Einbeziehung der Selbständigen - kurzfristig und ohne bürokratischen Aufwand beseitigen.
Gemeindlichen Umsatzsteueranteil erhöhen.
Grundsteuerreform vorantreiben, Aufkommen verbessern.
2. Ausgaben reduzieren!
Nicht hinnehmbar ist, dass die Kommunen mit den Sozialausgaben in großem Maße gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanzieren und im Wesentlichen keinen Einfluss auf diese Ausgaben haben. Die Kommunen müssen insbesondere bei den Kosten der Unterkunft für Hartz IV-Empfänger, der Eingliederungshilfe für Behinderte und bei der Grundsicherung im Alter entlastet werden.
Kosten der Unterkunft: Faire Lastentragung zwischen Bund und Kommunen!
- Keine Absenkung, sondern Erhöhung der Bundesbeteiligung.
- Änderung der Anpassungsformel unter Zugrundelegung der tatsächlichen Kosten.
- Zusammenlegung von Unterkunftskosten und Wohngeld.
- Pauschalierung vorsehen, Bürokratiekosten einsparen.
Eingliederungshilfe für Behinderte: Versicherungslösung mit bundesfinanziertem Leistungsgesetz
- Das Risiko einer Behinderung ist – ebenso wie die Pflegebedürftigkeit – ein allgemeines Lebensrisiko. Daher sollte zur teilweisen Abdeckung dieses Risikos ein Versicherungsschutz des Einzelnen eingeführt werden, der organisatorisch mit der Pflegeversicherung verbunden wird.
- Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe brauchen wir ergänzend ein bundesfinanziertes Leistungsgesetz für behinderte Menschen.
Grundsicherung im Alter: Renten armutsfest machen!
- Vorgelagerte Sicherungssysteme stärken.
- Lebensarbeitszeit verlängern, Eigenvorsorge ausbauen.
3. Kinderbetreuung solide finanzieren!
- Betreuungsbedarf realistisch feststellen.
- Bundes- und Länderbeteiligung an den tatsächlichen Bedarf anpassen.
- Wirtschaft stärker einbinden.
- Vorrang für Investitionen in die Infrastruktur statt Erhöhung von Transferleistungen.
4. Arbeitsmarktpolitik
- Fördern und Fordern konsequent anwenden.
- Kommunale Kompetenz in den neuen Jobcentern dauerhaft sichern.
- Kreisangehörige Gemeinden in die Entscheidungsprozesse einbinden.
- Bundesvorgaben reduzieren, Spielraum des Jobmanagers vor Ort erhöhen.
- Bezahlte Bürgerarbeit ausbauen.
5. Mitwirkung und Gesetzesfolgenabschätzung
- Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände verfassungsrechtlich absichern.
- Gesetzesfolgenabschätzung zwingend vorschreiben.
- Planspiele für den Gesetzesvollzug ausbauen.
- Bürokratiekosten solide feststellen und minimieren.
(Quelle: Pressemitteilung Deutscher Städte- und Gemeindebund 26/2010)