MITTEILUNGEN 01/2007, Aus der Rechtsprechung, Seite 50, Nr. 29

Aus der Rechtsprechung:
VG Berlin: Zum Nachweis der Restitutionsberechtigung bei untergepflügten Wegen


Verwaltungsgericht Berlin, Urteil der 15. Kammer vom 15. Dezember 2005 , - VG 15 A 269.01 -, nicht rechtskräftig

Zum Sachverhalt:


Die klagende Gemeinde ficht einen Bescheid des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin vom 27. Juni 2001 an, durch welchen ein Einigungsbescheid nach § 2 Abs. 1 Satz 6 Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG) der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 4. März 1994 aufgehoben wurde. In diesem war festgestellt worden, dass das Eigentum an den streitgegenständlichen Flurstücken auf die Klägerin übergegangen war.

Bei den Flurstücken handelt es sich - wie in den gleichzeitig entschiedenen Parallelverfahren - überwiegend um langgestreckte Wege- und Grabengrundstücke, welche seit geraumer Zeit nicht mehr als Wege bzw. Gräben genutzt werden. Während sie ursprünglich zwischen Grundstücken verschiedener Eigentümer gelegen waren, wurden zu DDR-Zeiten die umliegenden Grundstücke von einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft genutzt, welche die Wege und Gräben unterpflügte.

Die klagende Gemeinde hatte im Jahr 1993 bei der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus die Zuordnung der Flurstücke beantragt. Auf dem Formblattantrag hatte sie als Grund für den Antrag jeweils „R“ (wie Restitution) angegeben.

Ausweislich der von der Klägerin eingereichten Nachweise sind die hier streitgegenständlichen Flurstücke 1913 in die Mutterrolle (Art. Nr. 152) eingetragen worden, in der Spalte Kulturart wurde dabei „Weg“ bzw. „Graben“ vermerkt. Der Eigentümer war nicht bezeichnet, stattdessen findet sich eine Eintragung „Öffentliche Wege und Gräben“. 1952 wurde diese Bezeichnung gestrichen und stattdessen „Nicht ermittelte Eigentümer" eingetragen. 1962 wurden die Flurstücke in Eigentum des Volkes überführt, Rechtsträger wurde der Rat der Gemeinde.

Durch Einigungsbescheid vom 4. März 1994 wurde festgestellt, dass die Flurstücke Nr. 52 und 70, Flur 7, Gemarkung N…, Eigentum der Gemeinde seien. Nach einem Verhandlungsprotokoll, welches von Vertretern des Bundesvermögensamt Cottbus, des Landkreises H… und des Amtes Sch… unterzeichnet ist, hatten sich die Beteiligten darüber geeinigt, dass das Eigentum nach Art. 21 Abs. 2 Einigungsvertrag der Klägerin zustehe.

Durch Sammelzuordnungsbescheid (Az.: PZ/BV-S-LF-96/12062-348) des Präsidenten der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben vom 18. Juni 1996 wurden die hier streitgegenständlichen Grundstücke aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Nutzung der Beigeladenen [BVVG, die Redaktion] zugeordnet.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2000 beantragte die Beigeladene bei dem Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin, den Bescheid der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 4. März 1994 aufzuheben und das Grundbuchamt um die Eintragung der Beigeladenen als Eigentümerin der Flurstücke zu ersuchen.

Am 31. August 2000 trafen sich Vertreter des Amtes Sch…, der Beigeladenen, der W… Agrar GmbH und des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin zu einem Vor-Ort-Termin, eine Einigung konnte nicht erzielt werden ( …).

Durch Bescheid vom 27. Juni 2001 hob der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Berlin den Bescheid der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus auf und lehnte den Antrag der Klägerin auf Restitution ab. Zur Begründung verwies er auf den Vor-Ort-Termin und ein Schreiben des Landkreises E…, nach denen die Grundstücke landwirtschaftlich genutzt wurden. Da so die landwirtschaftliche Nutzung der Grundstücke feststehe, seien diese Vermögenswerte im Sinne der 3. DVO zum TreuHG und damit der Beigeladenen zuzuordnen. Der Bescheid vom 4. März 1994 sei gegenüber der Beigeladenen nicht bestandskräftig geworden, da damals nur der Präsident der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben als Zuordnungsbehörde, nicht aber die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben als mögliche Berechtigte beteiligt worden sei. Bei der nach § 48 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 VwVfG vorzunehmenden Ermessenserwägung seien das öffentliche Interesse der Gemeinde am Bestand des Bescheids und das öffentliche Interesse an der Herstellung des rechtmäßigen Zustands abzuwägen. Das Interesse der klagenden Gemeinde habe jedoch zurücktreten müssen, da sich eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft allenfalls in Extremfällen auf Vertrauensschutz berufen könne. Demgegenüber werde bei einer Zuordnung der Flächen an die Klägerin der gesetzliche Privatisierungsauftrag der Beigeladenen vereitelt. Die Ein-Jahres-Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG stehe nicht entgegen, da sich die Behörde erst bei dem Vor-Ort-Termin von der Nutzung habe überzeugen können. Die betreffenden Grundstücke seien daher zu Recht durch den Bescheid vom 18. Juni 1996 des Präsidenten der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben der BVVG zugeordnet worden. Der Antrag der Gemeinde auf Übertragung sei hingegen abzulehnen, da die Eintragung „öffentliche Wege und Gewässer“ kein hinreichender Nachweis für kommunales Alteigentum sei.

Gegen den Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, sie benötige die Flurstücke in der Zukunft zur Erschließung der umliegenden Grundstücke, welche alle unterschiedliche Eigentümer hätten, auch wenn diese derzeit nicht als Weg oder Gräben genutzt würden. Die Nichterweislichkeit der Eigentumsverhältnisse gehe nicht zu ihren Lasten, da aufgrund der früheren Nutzung als Wege und Gräben und der entsprechenden Eintragungen in der Mutterrolle eine Vermutung zugunsten ihres Alteigentums bestehe. Der Umstand, dass keine Grundbuchblätter für die betreffenden, Flurstücke angelegt worden seien, zeige ebenso, dass diese dem Privatrechtsverkehr entzogen gewesen seien. Im Übrigen dürfe die Gefahr der Nichterweislichkeit nicht zu ihren Lasten gehen, da vorliegend die Rücknahme eines Verwaltungsaktes Streitgegenstand sei.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin vom 27. Juni 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin das Eigentum an den Flurstücken Nr. 52 und 70, beide Flur 7 der Gemarkung N…, zurückzuübertragen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt hierzu Folgendes vor: Nach ihrer Auffassung sei bei buchungsfreien Grundstücken, für welche in der Mutterrolle „Öffentliche Wege und Gewässer" eingetragen ist, grundsätzlich von Alteigentum der Gemeinden auszugehen. Ungeachtet rechtsgeschichtlicher Betrachtungen habe es sich bei diesen Flurstücken per 8. Mai 1945 um öffentliche genutzte und damit buchungsfreie Grundstücke im Sinne von § 3 Abs. 2 a GBO gehandelt, dies habe aber zu diesem Zeitpunkt lediglich auf Grundstücke zugetroffen, welche Eigentum der öffentlichen Hand waren.

Zudem hätten die Grundstücke, wenn es sich nicht um Gemeindegrundstücke gehandelt hätte, nicht nach der „Gemeinsamen Anweisung über die Berichtigung der Grundbücher und Liegenschaftskataster für Grundstücke des ehemaligen Reichs-, Preußen-, Wehrmachts-, Landes, Kreis- und Gemeindevermögens" vom 11. Oktober 1961 in Volkseigentum überführt werden dürfen, was aber erkennbar geschehen sei. Privater Grundbesitz sei bereits früher im Rahmen der Bodenreform im Jahr 1952 enteignet worden.

Die Beigeladene ist in der mündlichen Verhandlung vertreten gewesen, hat aber keinen eigenen Antrag gestellt.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die zwischen diesen gewechselten Schreiben verwiesen.

Der Verwaltungsvorgang der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Aufhebung des Bescheids der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 4. März 1994 durch den streitgegenständlichen Bescheid des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin war rechtmäßig. Die Klägerin vermochte zudem nicht nachzuweisen, dass sie einen Anspruch auf die Rückübertragung der streitgegenständlichen Flurstücke hat und ist so durch den Bescheid nicht ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Nach § 48 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) kann eine Behörde einen rechtswidrigen Bescheid ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurücknehmen. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 4. März 1994 ergibt sich bereits daraus, dass an der Einigung, welche gemäß § 2 Abs. 1 Satz 6 VZOG dem Bescheid zugrunde lag, nicht die nach § 3 3. DVO TreuHG materiell berechtigte Beigeladene beteiligt worden war. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Klägerin einen Anspruch auf die Restitution der Flurstücke hatte, da ein Einigungsbescheid nach § 2 Abs. 1 Satz 6 VZOG ungeachtet der Rechtslage ergeht.

Das ihr eingeräumte Ermessen hat die Beklagte ebenfalls ausgeübt, Ermessensfehler im Sinne des § 114 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind nicht zu erkennen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn - wie im vorliegenden Fall - zwei sich widersprechende Zuordnungsbescheide vorliegen und die Zuordnungsbehörde der Herstellung rechtmäßiger Zustände den Vorrang gegenüber den gemeindlichen Interessen gibt, da letztere als öffentliche Körperschaft sich grundsätzlich nur in beschränkten Umfang auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berufen kann. Die Beklagte hat nicht die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt, da erst nach dem gemeinsamen Ortstermin alle für ihre Entscheidung erheblichen Umstände feststanden. Nach der Rechtsprechung beginnt die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. nur BVerwG, Großer Senat, Urt. v. 19. Dezember 1984 - GrSen 1/84, GrSen 2/84, BVerwGE 70, 356 ff.). Dies war jedoch erst der Fall, nachdem sich die Beklagte bei dem Vor-Ort-Termin am 31. August 2000 von der landwirtschaftlichen Nutzung der Flurstücke überzeugt hatte.

Der Bescheid ist aber auch insoweit rechtmäßig, als darin der Restitutionsantrag der Klägerin abgelehnt wird, denn diese vermochte nicht ihr Alteigentum an den Flurstücken zu belegen. Nach Art. 21 Abs. 3, 22 Abs. 1 Satz 7 EinigV sind Vermögenswerte, welche dem Zentralstaat von einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden, an diese zurückzuübertragen.

Die Klägerin hat keine Grundbuchauszüge oder vergleichbare Unterlagen beigebracht, die ihr Alteigentum vor dem 8. Mai 1945 belegen. Im Gegenteil steht unstreitig fest, dass für die betreffenden Flurstücke keine Grundbuchblätter angelegt wurden und sie lediglich in der Mutterrolle als „Öffentliche Wege und Gräben“ eingetragen waren.

Entgegen der Auffassung der Klägerin begründen aber weder die Buchungsfreiheit der Flurstücke noch der Vermerk „Öffentliche Wege und Gräben“ in der Mutterrolle eine Vermutung, dass allein die Gemeinde Eigentum an den Flurstücken gehabt haben kann (so auch VG Berlin, 30. Kammer, Urt. v. 14. Juli 2005 - VG 30 A 600.02; das erkennende Gericht macht sich die im Folgenden im Wesentlichen dargestellte Begründung des Urteils vom 14. Juli 2005 zu eigen).

Zu allen Zeiten - seitdem das Gebiet der klagenden Gemeinde aufgrund der Beschlüsse des Wiener Kongresses 1815 Preußen zugeschlagen wurde - existierten Ausnahmen von dem Grundsatz der Buchungspflichtigkeit sämtlicher Grundstücke für öffentliche Wege und zwar ungeachtet dessen, wer Eigentümer war. Auch die ältere Literatur (vgl. insb. Bahlmann, Preußische Grundbuchordnung, 2. Aufl., Berlin 1872, S. 170) ging davon aus, dass Wegegrundstücke aufgrund des damit verbundenen Aufwands, welcher durch die Ermittlung des Eigentümers entstünde, und den fehlenden Nutzen häufig buchungsfrei blieben.

Öffentliche Wege konnten unter Zugrundelegung der maßgeblichen rechtlichen Vorschriften - mit Ausnahme hier nicht vorliegender Hauptverkehrsstraßen - sowohl im Eigentum der Gemeinde, in der sie belegen waren, als auch im Eigentum Dritter stehen: Im Königreich Preußen galt das 1794 in Kraft getretene Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR). Das ALR enthielt Bestimmungen über das Eigentum von öffentlichen Wegen nur insoweit, als es sich um Land- und Heerstraßen handelte. Diese waren „gemeines Eigentum des Staates" (§ 21, II. Theil, 14. Titel ALR) und konnten in niemandes Privateigentum stehen. Land- und Heerstraßen waren allerdings nur solche, die von einer Grenze des Landes zu einer anderen oder von einer Stadt, von einem Post- oder Zollamte entweder zu einem anderen oder zu Meeren und Hauptströmen führten (§ 1, II. Theil, 15. Titel ALR), was vorliegend ersichtlich nicht der Fall ist.

Auch nach dem in Preußen geltenden Wegerecht ging die Entstehung eines öffentlichen Weges nicht einher mit der Übertragung des Wegekörpers in öffentliches Eigentum; vielmehr konnten sich öffentliche Wege auch auf Privateigentum finden (Scholz, Handbuch des gesamten öffentlichen Grundstücksrechts [Reich und Preußen], Bd. 1, S. 628, 634; Güthe, Die Grundbuchordnung für das Deutsche Reich und die preußischen Ausführungsbestimmungen, § 90 Rnr. 10, RGZ 22, S. 305).

Aus dem Umstand, dass in den amtlichen Verzeichnissen (Grundsteuerkataster und Liegenschaftskataster) keine Privatperson als Eigentümer der streitbefangenen Flurstücke eingetragen war, ist ebenfalls nicht zu folgern, dass diese Grundstücke im Eigentum der Belegenheitsgemeinde standen. Denn vom Buchungszwang waren nicht nur Grundstücke der Gemeinden ausgenommen, sondern auch öffentlich genutzte Grundstücke, und zwar unabhängig davon, in wessen Eigentum sie sich befanden:

Nach dem preußischen Recht bestand zwar grundsätzlich Eintragungszwang. Dieser galt jedoch u.a. nicht für diejenigen Sachen, die dem privaten Rechtsverkehr entzogen waren (res extra commercium). Hierzu zählten die schon erwähnten Land- und Heerstraßen, für die § 2, II. Theil, 15. Titel ALR bestimmte, dass sich - ohne besondere Erlaubnis des Staates - niemand eine Verfügung hierüber anmaßen darf. Diese Vorschrift enthielt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der analog auf andere öffentliche Straßen anwendbar war (vgl. Landé und Hermes, a.a.O., Anm. zu § 2; PreußOVG, 10, 192).

Nach der Preußischen Grundbuchordnung (PreußGBO) vom 5. Mai 1872 waren öffentliche Wege ebenfalls von dem Grundsatz des Buchungszwangs ausgenommen. So bestimmte § 2 PreußGBO, dass es u. a. für öffentliche Landwege der Anlegung eines Grundbuchblattes nur im Fall der Veräußerung oder Belastung oder eines entsprechenden Antrages des Eigentümers oder eines Berechtigten bedarf. Diese Regelung wurde als Beibehaltung des bisherigen Prinzips verstanden und damit begründet, dass unnötige Arbeit und mögliche Rechtsstreitigkeiten darüber vermieden würden, ob öffentliche Wege im Einzelfall als öffentliches, kommunales oder Privat-Eigentum zu werten seien (vgl. Bahlmann, Das preußische Grundbuchrecht, S. 170). Die Grundbuchordnung für das Deutsche Reich vom 24. März 1897 übernahm den Buchungszwang in § 3 Satz 1 und erteilte in § 90 die Ermächtigung, durch landesherrliche Verordnung eine Ausnahme u. a. für öffentliche Wege und Gewässer zu regeln. Hintergrund war auch hier die Erkenntnis, dass es unzweckmäßig sei, diese Grundstücke einem Buchungszwang zu unterwerfen, weil der damit verbundene Aufwand an Arbeit und Kosten nutzlos wäre (vgl. Güthe, Die Grundbuchordnung für das Deutsche Reich und die preußischen Ausführungsbestimmungen, § 90 Rnr. 2). Von dieser Ermächtigung wurde durch Art. 1 der königl. Verordnung betr. das Grundbuchwesen vom 13. November 1899 (abgedruckt in Fuchs, Arnheim, Grundbuchrecht Band II [formelles Grundbuchrecht], S. 813) Gebrauch gemacht, wonach u. a. öffentliche Wege und Gewässer ein Grundbuchblatt nur auf Antrag des Eigentümers oder eines Berechtigten erhielten.

Die Neufassung der Grundbuchordnung vom 5. August 1935 führte diese Regelung in ihrem § 3 Abs. 2 fort. Die Grundbuchordnung wurde im Gebiet der ehemaligen DDR durch die Grundstücksdokumentationsverordnung vom 6. November 1975 (GBI. I S. 697) und die Grundbuchverfahrensordnung vom 30. Dezember 1975 (GBI. 1976 I S. 42) abgelöst.

Mithin waren Flurstücke, die öffentlich genutzt wurden, allein wegen dieser Nutzungsart und unabhängig davon, wem das Eigentum zustand, seit Geltung des preußischen Rechts bis zur Auflösung der Gemeinden in der ehemaligen DDR durch das Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. Juli 1952 (GBl. S. 613) vom grundsätzlichen Buchungszwang ausgenommen. Für die Grundbucheintragung öffentlich genutzter Grundstücke bestand auch keine Notwendigkeit. Denn aufgrund ihres öffentlichen Gebrauchs pflegten sie ohnehin nur in geringem Umfang am Rechtsverkehr teilzunehmen, so dass das Eigentum hieran in der Regel nicht wechselte.

Auch die Eintragung der streitgegenständlichen Flurstücke in die Mutterrolle der Grundsteuerverwaltung als „Öffentliche Wege und Gewässer“ lässt nicht auf das Eigentum der Gemeinde schließen:

Je Grundsteuermutterrolle, die die Grundstücke eines Bezirks unter fortlaufenden Artikel-Nummern enthielt, wobei grundsätzlich für jeden Eigentümer ein besonderer Artikel verwendet wurde (Fuchs u. Arnheim, Grundbuchrecht, 2. Band, formelles Grundbuchrecht, S. 52), war Teil des Grundsteuerkatasters. Dieses hatte den Zweck, den Flächeninhalt und den Reinertrag der Grundstücke zu ermitteln, um danach die von dem ertragfähigen Grundeigentum zu entrichtende Steuer zu bestimmen (vgl. das Gesetz, betreffend die anderweite Regelung der Grundsteuer vom 21. Mai 1861 [PrGesS. S. 253] sowie die Anweisung für das Verfahren bei Ermittlung des Reinertrages der Liegenschaften behufs anderweiter Regelung der Grundsteuer, [PrGesS 1861, S. 257 ff.]; Fuchs u. Arnheim, Grundbuchrecht, 2. Band, formelles Grundbuchrecht, S. 48 ff.). Die Eintragungen erfolgten nach Kulturart und Bonitätsklasse (vgl. §§ 4, 5 der vorgenannten Anweisung), unterteilt in „Steuerpflichtige Liegenschaften“, „Steuerfreie Liegenschaften“ und „Wegen ihrer Benutzung zu öffentlichen Zwecken ertraglose Grundstücke", wobei letztere in die Rubriken „Land (Wege, Eisenbahnen ...)" und „Wasser“ (Flüsse, Bäche ...)“ weiter unterteilt wurden (vgl. Muster 4 zu § 43 der vorgenannten Anweisung). Aus Vorstehendem ist zu folgern, dass die Eintragung „Öffentliche Wege und Gewässer“ allein an die Nutzungsart der Grundstücke anknüpfte.

Ehemaliges Eigentum der Klägerin an den Wegegrundstücken kann schließlich auch nicht aus der Wegebaulast hergeleitet werden. Zwar wird vertreten, dass im Zweifel die Vermutung für das Eigentum des Wegeunterhaltungspflichtigen spricht (Scholz, Handbuch des gesamten öffentlichen Grundstücksrechts [Reich u. Preußen], Band 1, S. 634). Auch das Reichsgericht hat aus den aufseiten der Gemeinde festgestellten Besitzhandlungen (Benutzung der Wege für den öffentlichen Verkehr, Bepflanzung und Unterhaltung) eine Vermutung für das Eigentum der Gemeinde hergeleitet, welche durch Gegenbeweis entkräftet werden müsste (RGZ 22, 304 ff.).

Hier ist aber bereits in Zweifel zu ziehen, dass der Klägerin die Wegebaulast für die streitgegenständlichen früheren Wegegrundstücke, bei denen es sich um Feldwege handelte, oblag. Feldwege waren nach dem in Preußen geltenden Wegerecht keine öffentlichen Wege. Zu den öffentlichen Wegen zählten im Wesentlichen Hauptverkehrsstraßen, Verbindungswege (Kommunikations- oder Vicinalwege) und Gemeindewege (Scholz, Handbuch des gesamten öffentlichen Grundstücksrechts [Reich u. Preußen], Band 1, S. 630). Feldwege gehörten als so genannte Interessentenwege zu den Kultur- und Wirtschaftswegen, die zwar jagdrechtlich als öffentliche Wege galten, im Übrigen aber rechtlich Privatwege waren, obgleich sie nicht beliebig gesperrt werden konnten und tatsächlich meist einer ungehinderten Benutzung unterlagen und praktisch zwischen den öffentlichen und den Privatwegen standen (Scholz, a.a.O., S. 705). Die Unterhaltungspflicht dieser Interessentenwege traf die Gemeinde nur dann, wenn der Weg zum Gemeindevermögen gehörte (Scholz, a. a. O., S. 706, 707), wofür es hier keinerlei Anhaltspunkte gibt.

Aber auch dann, wenn die Wegegrundstücke dem Verkehr innerhalb des Gemeindebezirks gedient hätten und somit Gemeindewege gewesen wären, würde hieraus nicht zweifelsfrei die Wegeunterhaltungspflicht der Klägerin als Belegenheitsgemeinde folgen. Denn wegebaupflichtig konnten anstelle der Gemeinden auch Gutsbezirke sein. So regelte bspw. § 16 der Wegeordnung für die Provinz Sachsen vom 11. Juli 1891 (Preuß. Ges.S., S. 316 ff.), bei der es sich um die erste provinzielle Wegeordnung in Preußen handelte (vgl. Salzwedel, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, S. 334), dass die auf Gemeinden bezüglichen Bestimmungen auf selbstständige Gutsbezirke gleichmäßig Anwendung finden (vgl. auch Scholz, Handbuch des gesamten öffentlichen Grundstücksrechts, Band 1, S. 649: „In Gutsbezirken, soweit diese noch bestehen, ist der Gutsbesitzer als Träger der Gutsherrlichkeit wegebaupflichtig."). Die selbstständigen Gutsbezirke waren nicht in die Einteilung des Staatsgebietes in Gemeinden einbezogen, sondern standen neben den Landgemeinden und erfüllten deren Aufgaben (Rüfner, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, S. 701). In der Provinz Sachsen gab es selbstständige Gutsbezirke bis in das Jahr 1927. So ging die für die Provinz Sachsen geltende (Ausnahme Grafschaften Wernigerode und Stolberg) Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 (PreußGes.S. S. 661 ff.) von dem Bestehen selbstständiger Gutsbezirke aus und erst das Gesetz über die Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts vom 27. Dezember 1927 (PreußGes.S., S. 211) ordnete in § 11 Abs. 1 die Auflösung der selbstständigen Gutsbezirke an.

Die Ausführungen der Beklagten, dass nach der „Gemeinsamen Anweisung über die Berichtigung der Grundbücher und Liegenschaftskataster für Grundstücke des ehemaligen Reichs-, Preußen-, Wehrmachts-, Landes, Kreis- und Gemeindevermögens" vom 11. Oktober 1961 nur Flurstücke, welche im Eigentum der Gemeinden standen, in Volkseigentum überführt werden durften, begründen ebenfalls keine Vermutung des Eigentums der Klägerin. Denn es ist nicht ersichtlich, welche (weiteren) Erkenntnisse die Behörden in der DDR hinsichtlich etwaigen Alteigentums der Gemeinde hatten, welche heute nicht mehr zur Verfügung stehen, jedoch damals den Schluss auf Gemeindeeigentum zuließen.

Insofern ist festzustellen, dass die Klägerin weder ihr Alteigentum nachzuweisen vermochte, noch eine Vermutung für ihr Alteigentum spricht. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten stehen dem Gericht nicht zur Verfügung. Da es sich insoweit um eine für die Klägerin günstige Tatsache handelt, geht die Gefahr der Nichterweislichkeit (materielle Beweislast) zu Lasten der Klägerin. Insoweit muss zwischen den einzelnen Regelungen in dem Bescheid unterschieden werden: die Rechtswidrigkeit des Einigungsbescheids vom 4. März 1994, an welche die Rücknahme anknüpfte, ergibt sich bereits aus der fehlenden Beteiligung der materiell berechtigten Beigeladenen. Zudem ergibt sich auch aus dem anliegenden Einigungsprotokoll, dass die Einigung auf der gemeinsamen Auffassung beruhte, es handele sich um Verwaltungsvermögen im Sinne von Art. 21 Abs. 2 EinigV. Davon zu unterscheiden ist aber die Entscheidung über den nach wie vor offenen Antrag auf Restitution der Flurstücke nach Art. 21 Abs. 3, 22 Abs. 1 Satz 7 EinigV. Hierbei handelt es sich um eine gewöhnliche Verpflichtungssituation, in der die Klägerin die materielle Beweislast trägt. Abgesehen davon, dass ein Einigungsbescheid ohnehin nichts über die materielle Rechtslage auszusagen vermag, ergibt sich auch aus dem Einigungsprotokoll, dass die Beteiligten keine Aussage über einen etwaigen Restitutionsanspruch der Klägerin treffen wollten.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass weder die Rücknahme des Bescheids vom 4. März 1994 noch die Ablehnung des Restitutionsantrages durch den streitgegenständlichen Bescheid rechtswidrig sind.

Az: 906-05

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