Mitteilungen 02/2009, Seite 80, Nr. 35
Finanzierung der kommunalisierten Aufgaben des überörtlichen Trägers der Soziahilfe
Seit dem Zweiten Funktionalreformgesetz vom 13. Juli 1994, mit dem das Land Brandenburg den Landkreisen und kreisfreien Städten erstmals Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe zur Wahrnehmung übertrug, steht die Finanzierung zwischen Land und Kommunen immer wieder in Frage. Beispielhaft für langwierige, zahlreiche Gespräche oder für Klagen vor Verwaltungsgerichten und nach neuerer Rechtslage vor den Sozialgerichten stehen Verfahren vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg: Mit Urteil vom 14. Februar 2002, - VfG 17/01 -, entschied das Verfassungsgericht, dass die damaligen § 4 Abs. 2 AG-BSHG, § 4 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AG-BSHG sowie Art. 20 Nr. 1 b) und c) HStrG mit dem strikten Konnexitätsprinzip unvereinbar seien. (Mitt. StGB Bbg. 03/2002, S. 96) Mit Urteil vom 28. Juli 2008, - VfGBbg 76/05 -, lehnte das Verfassungsgericht zwar zwei kommunale Verfassungsbeschwerden gegen § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII ab. Das Verfassungsgericht folgte aber im Kern der Rechtsansicht der Kommunen, indem es erklärte, § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII enthalte eine Kostenerstattungsverpflichtung des Landes gegenüber den Kommunen, soweit diesen in den Jahren 2005 und 2006 Ausgaben für Aufgaben der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bei Personen in stationärer Betreuung entstanden seien. (Mitt. StGB Bbg. 07-08/2008, S. 337 und 366) Die Verhandlungen zwischen Land und Kommunen über die Erstattung dieser Ausgaben von über 38 Millionen Euro dauern an und werden voraussichtlich erst im Sommer 2009 beendet sein. Nunmehr hat das Verfassungsgericht am 15. Dezember 2008, - VfGBbg 68/07 und 66/07-, entschieden, dass § 4 Abs. 2 bis 5 BbgFAG mit Art. 97 Abs. 3 LV unvereinbar seien, soweit sie keinen dem strikten Konnexitätsprinzip entsprechenden Kostenausgleich enthielten. Das Urteil im Verfahren VfGBbg 68/07 ist im Rechtsprechungsteil dieser mitteilungen abgedruckt.
Nachdem am 1. Januar 2005 das SGB XII in Kraft trat und das BSHG ersetzte, waren die Länder gehalten, ihre Ausführungsgesetze der neuen bundesrechtlichen Gesetzeslage anzupassen. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe sollte sich nach Landesrecht bestimmen. Die Länder sollten bei ihrer Gesetzgebung berücksichtigen, dass die Zuständigkeit für ambulante und stationäre Leistungen in einer Hand liegen. Sofern die Länder keine Zuständigkeitsregelung schufen, sollte § 97 Abs. 3 SGB XII, der erst am 1. Januar 2007 in Kraft trat, die landesrechtliche Zuständigkeitsregelung enthalten. Nach § 97 Abs. 3 SGB XII ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die Hilfe zur Pflege und die Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten und die Blindenhilfe zuständig ist, soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt.
Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie und Landesregierung vertraten in der Folge seit Mitte 2006 die Auffassung, die sachliche Zuständigkeit sei bundesgesetzlich bereits festgelegt, mit der Folge, dass das Konnexitätsprinzip zukünftig nicht mehr eingreife. Die Landkreise und kreisfreien Städte seien für die Wahrnehmung der Aufgaben der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe, die sie seit Inkrafttreten des Zweiten Funktionalreformgesetzes als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung für das Land erledigten, seit Inkrafttreten des SGB XII kraft Bundesrecht zuständig. Daher sollten sie eine Kostenerstattung im Sinne des strikten Konnexitätsprinzips nicht mehr erhalten.
Da für den Fall, dass Landesrecht keine Bestimmung trifft, nach § 97 Abs. 3 SGB XII der überörtliche Träger der Sozialhilfe zum 1. Januar 2007 für die kostenintensiven Aufgaben der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege zuständig geworden wäre, traf der Landesgesetzgeber insoweit eine Bestimmung, als er einen kleinen Aufgabenbereich, nämlich die Zuständigkeit für Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, also dem Landesamt für Soziales und Versorgung, zuordnete.
Mit dem AG-SGB XII und der Änderung des BbgFAG durch das Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und zur Änderung des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes vom 6. Dezember 2006 (GVBl. I S. 166), wurden die bislang für die Kostenerstattung im Landeshaushalt bereitgestellten Mittel in Höhe von 312 Millionen Euro in die Verbundmasse überführt und nach den dort geltenden Prinzipien verteilt. Hiergegen richteten sich mehrere kommunale Verfassungsbeschwerden von Landkreisen und kreisfreien Städten.
Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg folgte der Rechtsauffassung der Landesregierung nicht, sondern urteilte, die Bedeutung des § 2 Abs. 1 AG-SGB XII für die Zuständigkeitsverteilung zwischen überörtlichem und örtlichem Träger erschöpfe sich nicht in der explizit ausgesprochenen Zuweisung einer Hilfeart an den überörtlichen Träger. Vielmehr ergebe sich aus dem Zusammenhang mit dem besonderen Regelungsmechanismus der bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 97 SGB XII, dass die Aufgabenübertragung durch die mit § 2 Abs. 1 AG-SGB XII zu Lasten der Kommunen getroffene (Gestaltungs-)Entscheidung des Landesgesetzgebers erfolgt sei, die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nur für die Leistungen nach § 97 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII zu bestimmen und demzufolge den örtlichen Trägern aufgrund von § 97 Abs. 1 SGB XII die Zuständigkeit für die übrigen der in § 97 Abs. 3 SGB XII aufgeführten Leistungen, also jene nach Nr. 1, 2 und 4, zufallen zu lassen.
Habe das Land – neben der bundesgesetzlichen Regelung – noch einen eigenen Entscheidungsspielraum dahingehend, ob es die Aufgabe selbst kraft Landesrechts wahrnehmen wolle oder - wenn nicht - die Aufgabe dann den Kommunen kraft Bundesrechts zufallen solle, und nutze es diesen Gestaltungsspielraum zu Lasten der Kommunen, so greife das Konnexitätsprinzip ein.
Aus Gründen einer verläßlichen Haushaltswirtschaft bleibt die mit der Landesverfassung unvereinbare Regelung in § 4 Abs. 2 bis 5 BbgFAG in Kraft. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens für das Haushaltsjahr 2010 nach Maßgabe der Entscheidungsgründe für den genannten Aufgabenbereich eine gesonderte, finanzkraftunabhängige Kostenerstattungsregelung zu treffen.
Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie hat im Januar 2009 erste Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden aufgenommen, um Fragen der Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts zu erörtern. Hierbei geht es dem Ministerium auch um die Frage, wem zukünftig die Zuständigkeiten für die Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe zugeordnet werden sollen beziehungsweise wer welche einzelne Aufgabe wahrnehmen soll. Auf eine Änderung des Landespflegegesetzes und auf dessen Anpassung an AG-SGB XII, auf die die Kommunen seit Mitte 2006 drängen, will das Ministeriums jetzt sogar gänzlich verzichten und abwarten, welche Regelungen ein neues AG-SGB XII treffe.
Obwohl das Urteil des Verfassungsgerichts sich allein auf das Finanzausgleichsgesetz bezieht und obwohl nach Wahrnehmung des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg alle Beteiligten die kommunale Zuständigkeit als sinnvoll und fachlich richtig erachten, beabsichtigt das Land offenbar, die Zuständigkeiten neu zu regeln. Eine neuerliche Überarbeitung des AG-SGB XII, es wäre das vierte Gesetz seit 2003, wird wieder Zeit und Kraft auf allen Ebenen bedeuten. Energie, die besser in die fachliche Arbeit für die betroffenen Menschen fließen sollte, wird in den Verwaltungen verpuffen. Da im September 2009 Landtagswahlen stattfinden, kann bei einer ausführlichen Diskussion auch des AG-SGB XII mit einer Entscheidung in diesem Jahr nicht mehr gerechnet werden. Es wird also wieder ein Jahr der Ungewissheit mit allen hiermit zusammenhängenden Nachteilen auf die Kommunalverwaltungen und die dort arbeitenden Menschen zukommen. Entscheidungen, die im Interesse der betroffenen Menschen zur Verbesserung von Prozessen oder Strukturen getroffen werden könnten, oder Investitionen, die den Menschen ein besseres Angebot bieten könnten, werden mangels einer dauerhaften Entscheidung des Landesgesetzgebers auf kommunaler Ebene kaum zu erwarten sein.
Soweit das Ministerium die Auffassung vertritt, es bestünde ausreichend Zeit zur Diskussion, kann dem nicht gefolgt werden. Der Entscheidungssatz des Verfassungsgerichts ist eindeutig und einer Auslegung nicht fähig: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens für das Haushaltsjahr 2010 eine finanzkraftunabhängige Kostenregelung zu treffen. Das Haushaltsjahr 2010 beginnt mit dem 1. Januar 2010. Die Formulierung des Verfassungsgerichts ist auch nicht neu: Auch die Entscheidungssätze des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg in seinem Urteil vom 14. Februar 2002 enthielten die Formulierung „der Landesgesetzgeber habe spätestens für das Haushaltsjahr 2003 eine anderweitige Regelung zu treffen“.
Landesregierung und Landtag sind daher aufgefordert, alsbald eine Kostenerstattungsregelung zu schaffen. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg wird sich in diesbezügliche Diskussionen konstruktiv einbringen.
Monika Gordes, stellvertretende Geschäftsführerin