MITTEILUNGEN 12/2007, Seite 422, Nr. 240
Strompreise: Hessischer Vorstoß zur Verschärfung des Wettbewerbsrechts
Mit einer Verschärfung des deutschen Wettbewerbsrechts will Hessen für niedrigere Strompreise sorgen. Wirtschaftsminister Alois Rhiel hat dazu am 14.11.2007 in Berlin einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgestellt. Er will das Bundeskartellamt erstmals zu „wettbewerbsstimulierenden Eingriffen in die Marktstruktur“ berechtigen, wenn Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen und dadurch Wettbewerb verhindern. Die Notwendigkeit für einen Marktstruktureingriff sieht Rhiel aktuell im Stromerzeugungsmarkt, wo vier Energiekonzerne rund 80 Prozent des Stroms erzeugen.
Kernpunkt des Gesetzentwurfes ist eine Vorschrift, die die Entflechtung von Unternehmen unter folgenden Voraussetzungen ermöglicht:
• Es muss sich um einen Markt mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung handeln; dies kann v.a. Märkte mit bedeutenden oder gar unverzichtbaren Gütern betreffen, an denen ein erhebliches versorgungs- und strukturpolitisches Interesse besteht.
• Die Aufgreifschwellen der nationalen Fusionskontrolle müssen überschritten sein.
• Das betroffene Unternehmen muss auf dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung innehaben.
• Der Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung muss in mindestens einem Fall nachgewiesen sein.
• Auf dem relevanten Markt darf auf absehbare Zeit kein wesentlicher Wettbewerb zu erwarten sein.
Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen soll das Bundeskartellamt unter Beteiligung des Unternehmens die Veräußerung von Vermögensteilen oder eine andere Form der Abtrennung anordnen können, wenn dies eine spürbare Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen erwarten lässt.
Zentrales und tragendes Element des Konzeptes soll die Möglichkeit zur maßgeblichen Mitgestaltung des mehrstufigen Verfahrens durch das betroffene Unternehmen sein. Es soll in jeder Phase die Möglichkeit haben, Einfluss auf das Vorhaben des Bundeskartellamtes zu nehmen und Vorschläge für eine Unternehmensumgestaltung zu unterbreiten. Als Voraussetzung für die Entflechtung wird eine umfassende Marktanalyse gemacht. In der Regel, d.h. wenn die erforderlichen Tatsachen nicht bereits aufgrund eines Missbrauchsverfahrens bekannt sind, soll einem Entflechtungsverfahren eine Untersuchung des betroffenen Wirtschaftszweiges vorausgehen.
Nach der Begründung des Gesetzentwurfs können die Existenz von Größen- und Verbundvorteilen eine Restriktion für Marktstruktureingriffe darstellen. Entflechtungen dürften nur so weit gehen, dass kapazitative Mindestgrößen und damit optimale betriebswirtschaftlich-technische Betriebsgrößen erhalten bleiben. Anderenfalls werde die gesamtwirtschaftliche Effizienz beeinträchtigt. Aus diesem Grund soll das betroffene Unternehmen selbst Vorschläge unterbreiten können, welche Teile seines Vermögens veräußert werden sollten.
Für den weiteren Verlauf des förmlichen Entflechtungsverfahrens ist das Vorschlagsrecht des Unternehmens und dessen Beteiligung als Sollvorschrift normativ verankert. Danach darf das Bundeskartellamt - nach gutachterlicher Äußerung der Monopolkommission - seine Zustimmung zu einem Vertrag mit einem von dem betroffenen Unternehmen ausgesuchten Käufer nur verweigern, wenn mit dem geplanten Vertrag das Ziel der Entflechtung nicht erreicht würde. Diese Entscheidung soll gerichtlich überprüfbar sein.
Um das Ziel des Gesetzes, also eine Belebung des Wettbewerbes zu erreichen, sieht der Gesetzentwurf für den Fall der angestrebten Veräußerung an Dritte vor, den Kreis der potenziellen Erwerber zu begrenzen. Dadurch soll verhindert werden, dass andere auf dem relevanten Markt tätige Oligopolisten oder sogar konzerneigene Unternehmen die von der kartellbehördlichen Entscheidung erfassten Kapazitäten und Marktanteile hinzu gewinnen.
Anlässlich der Veröffentlichung des hessischen Vorschlags zur GWB-Novelle stellte Rhiel zwei wissenschaftliche Gutachten vor, die zu dem Ergebnis kommen, dass ein wettbewerbsstimulierender Marktstruktureingriff in Form eines Zwangsverkaufs von Kraftwerken verfassungsrechtlich möglich und ökonomisch sinnvoll ist. Das Gutachten zur Frage der Verfassungskonformität wurde verfasst von dem Juristen Prof. Dr. Christoph Engel, dem Direktor am Bonner Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Das zweite Gutachten beschreibt positive Erfahrungen im Ausland nach Marktstruktureingriffen. Es wurde von dem Ökonom Prof. Dr. Christian von Hirschhausen von der TU Dresden angefertigt.
Parallel zur Erweiterung des GWB schlägt Rhiel die Halbierung der Stromsteuer von zwei auf ein Cent je Kilowattstunde vor. Das erspare einem Durchschnittshaushalt mit 3.500 Kilowattstunden Jahresverbrauch rund 35 Euro pro Jahr. Zur Gegenfinanzierung schlägt Rhiel vor, die CO2-Verschmutzungszertifikate gegenüber den Stromerzeugern komplett versteigert werden sollen.
Unter Berücksichtigung weiterer Fachdiskussionen möchte Rhiel einen modifizierten Gesetzentwurf Anfang 2008 in den Bundesrat einbringen.
Der Gesetzentwurf ist hier abrufbar.
(Quelle: DStGB 607)