Mitteilungen 12/2008, Seite 543, Nr. 266
Familienleistungsgesetz – kommunale Spitzenverbände fordern Ausgleich für Mindereinnahmen infolge Kindergelderhöhung
Die Bundesregierung verabschiedete am 15. Oktober 2008 den Entwurf eines Familienleistungsgesetzes. Mit den Maßnahmen des Gesetzes sollen Familien über eine Anhebung von Kindergeld und Kinderfreibetrag sowie haushaltsnahe Dienstleistungen über eine bessere steuerliche Absetzbarkeit gefördert werden. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Finanzausschuss des Bundestages einen finanziellen Ausgleich für einen Teil der Einkommensteuerausfälle von Ländern und Gemeinden gefordert. Die gemeindlichen Mindereinnahmen der Maßnahmen belaufen sich auf jährlich insgesamt rund 335 Millionen Euro und sind weit überwiegend (95%) auf das erhöhte Kindergeld bzw. den erhöhten Kinderfreibetrag zurückzuführen.
Der Gesetzentwurf vom 15. Oktober 2008 sieht eine Anhebung des Kinderfreibetrages für jedes Kind von 3.648 Euro um 192 Euro auf 3.840 Euro vor. Zusammen mit dem Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung von 2.160 Euro sollen die Freibeträge für jedes Kind damit von 5.808 Euro auf 6.000 Euro erhöht werden.
Das Kindergeld soll für erste und zweite Kinder um jeweils 10 Euro von 154 Euro auf 164 Euro, für dritte Kinder um 16 Euro von 154 Euro auf 170 Euro sowie für vierte und weitere Kinder um je 16 Euro von 179 Euro auf 195 Euro monatlich angehoben werden
Die Regelungen zur steuerlichen Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten werden – ohne materiell-rechtliche Änderungen – in einer Vorschrift zusammengefasst.
Jeweils zum Schuljahresbeginn erhalten Kinder und Jugendliche aus Familien, die auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II oder SGB XII angewiesen sind, bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 jeweils zum Schuljahresbeginn einen zusätzlichen Betrag von 100 Euro für die Schule.
Die steuerlichen Regelungen zu haushaltsnahen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und haushaltsnahen Dienstleistungen einschließlich Pflegeleistungen, die bisher in mehreren gesonderten Tatbeständen erfasst waren, werden in einer Vorschrift zur Förderung privater Haushalte als Auftraggeber einer Dienstleistung bzw. als Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig Beschäftigter zusammengefasst. Die Förderung wird deutlich ausgeweitet auf einheitlich 20 Prozent der Aufwendungen von bis zu 20.000 Euro, höchstens 4.000 Euro pro Jahr.
Aus Sicht der Kommunen ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Aufteilung der Finanzierungslasten für die Kindergelderhöhung zu kritisieren. Deshalb hat die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände gegenüber dem Finanzausschuss des Bundestages auf die Notwendigkeit einer Anpassung der Umsatzsteueranteile zugunsten von Ländern und Kommunen hingewiesen. Nachfolgend ist der Wortlaut der Stellungnahme vom 20. November 2008 wiedergegeben:
„Sehr geehrter Herr Oswald,
die Bundesregierung hat am 15. Oktober 2008 den Entwurf eines Familienleistungsgesetzes beschlossen, mit dem Familien gestärkt und private Haushalte als Arbeitgeber oder Auftraggeber besser unterstützt werden sollen. Dazu sollen ab dem 1. Januar 2009 Kindergeld und Kinderfreibetrag steigen, haushaltsnahe Dienstleistungen einschließlich Pflegeleistungen sowie haushaltsnahe sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse steuerlich stärker gefördert und die Verfahren deutlich vereinfacht werden. Zudem sollen hilfebedürftige Kinder jeweils zum Schuljahresbeginn eine zusätzliche Leistung für Schulbedarf erhalten.
Die Kommunen sind durch den Gesetzentwurf in mehreren Punkten betroffen. Wir bedauern, dass kein Vertreter der kommunalen Spitzenverbände zu der Öffentlichen Anhörung am 24. November 2008 eingeladen worden ist. Wir möchten daher im Folgenden die kommunalen Positionen darlegen.
Kindergelderhöhung und Kinderfreibetrag
Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes sind grundsätzlich zu begrüßen. Gerade das Kindergeld trägt als direkte staatliche Transferleistung deutlich zur Verbesserung der materiellen Situation von Familien bei.
Allerdings handelt es sich um eine erneute punktuelle Maßnahme zugunsten von Familien, ohne dass diese in eine koordinierte Strategie zur Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut eingebettet wäre. Hier steht das kommunal seit Längerem geforderte armutspräventive Gesamtkonzept aus.
Sofern diskutiert wird, das erhöhte Kindergeld beim gleichzeitigen Bezug von SGB II- oder SGB XII-Leistungen anrechnungsfrei zu stellen, ist dies als systemwidrig abzulehnen. So sehr bei den Kommunen Verständnis dafür besteht, dass auch Empfängern von Grundsicherung für Arbeitsuchende oder von laufender Sozialhilfe die vorgesehene Erhöhung des Kindergeldes direkt zugute kommt, so läuft dies doch der Intention und der Aufgabe des SGB II und des SGB XII zuwider. Bereits in der Vergangenheit ist dies bei jeder Kindergelderhöhung diskutiert worden. Meist hat der Gesetzgeber zutreffend von einer Anrechnungsfreiheit abgesehen. Denn durch die SGB II- und SGB XII-Leistungen wird das soziokulturelle Existenzminimum der Familien gesichert. Die Leistungen zum Lebensunterhalt werden für hilfebedürftige Menschen erbracht. Die Subsidiarität der staatlichen Fürsorgeleistungen bestimmt nun einmal, dass im Fall, dass Hilfebedürftigkeit wegen anderer Leistungen wie z. B. das Kindergeld nicht besteht, auch keine Fürsorgeleistung erbracht wird. Beide Sozialgesetzbücher enthalten detaillierte Regelungen, wem das Kindergeld zuzurechnen ist (in der Regel den Kindern, nicht den Eltern) und wie mit dem Kindergeld umzugehen ist. Dieses Normgefüge sollte beibehalten werden. Andernfalls käme es zu einer doppelten Belastung der Kommunen sowohl – wie noch ausgeführt wird – über die Lastentragung der Kindergelderhöhung und den steuerlichen Grundfreibetrag als auch die teilweise Anrechnungsfreiheit des Kindergeldes.
Vielmehr muss die ausstehende Überprüfung der Bedarfsbemessung von Kindern in den Regelsätzen des SGB II und des SGB XII vorangetrieben werden. Zugleich ist wichtig, dass die Leistung auch tatsächlich bei den Kindern ankommt.
Vorgesehene Lastentragung der Kindergelderhöhung nicht verfassungskonform
Kritik ist allerdings an der vorgesehenen Lastentragung zu üben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Verteilung der Finanzierungslasten der Kindergelderhöhung nach dem Einkommensteuerbeteiligungsverhältnis von Bund, Ländern und Kommunen vor. Dies bedeutet, dass nach dem Gesetzentwurf Länder und Kommunen an den finanziellen Lasten aus der Erhöhung des Kindergeldes zu insgesamt 57,5 % beteiligt wären. Diese Lastentragung entspricht jedoch in keiner Weise den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 106 Abs. 3, 4 GG, nach dem zusätzlich in die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer die Steuermindereinnahmen einbezogen werden, die den Ländern ab 1. Januar 1996 aus der Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht entstehen. Sie ist deshalb von kommunaler Seite nicht hinnehmbar.
Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass sich bis 1996 die Familienförderung im Rahmen des früheren Familienlastenausgleichs aus dem allein vom Bund finanzierten Kindergeld und dem von Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene gemeinsam getragenen Kinderfreibetrag bei der Einkommensteuer zusammensetzte und eine Mitfinanzierung der Familienförderung durch Länder und Kommunen allein durch steuerlich bedingte Mindereinnahmen entsprechend der jeweiligen Anteile am Aufkommen der Einkommensteuer erfolgte. Dies entsprach einem Finanzierungsanteil von Ländern und Kommunen am gesamten Familienlastenausgleich von 26 %. Der kommunale Anteil betrug allein knapp 6,8 %.
Bei der Umstellung des Familienlastenausgleichs auf das steuerrechtliche Optionsmodell des Familienleistungsausgleichs wurde die bisherige Belastungsrelation von 74 : 26 zwischen dem Bund auf der einen und den Ländern und Kommunen auf der anderen Seite durch die Änderung des Art. 106 Abs. 3, 4 GG ausdrücklich und dauerhaft festgeschrieben. Alleiniger Sinn der Verfassungsreform war mithin, das bisherige Lastenverteilungsverhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen auch für den neuen Familienleistungsausgleich dauerhaft fortzuführen. Die Verfassungsergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, den durch das neue System eintretenden Lastenverschiebungen abseits der Deckungsquotenberechnungen des Umsatzsteuerausgleichs zwischen Bund und Ländern Rechnung zu tragen. § 3 Abs. 2 MaßStG unterstreicht diese gesonderte Erstattungspflicht nochmals, indem herausgestellt wird, dass die Steuermindereinnahmen, die den Ländern und Kommunen ab dem 1. Januar 1996 aus der Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht entstehen, zusätzlich und neben der Umsatzsteuerverteilung nach dem Deckungsquotenprinzip einbezogen werden.
Demnach dürfte der Anteil von Ländern und Kommunen an der Finanzierung der Kindergelderhöhung zusammen nur 540 Mio. € anstatt der im Gesetzentwurf vorgesehenen 1,19 Mrd. € betragen. Die Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern sind deshalb entsprechend um 650 Mio. € zugunsten der Länder (einschließlich der Kommunen) anzupassen.
Angesichts der regelmäßig wiederkehrenden Auseinandersetzungen um die Finanzierung von Kindergelderhöhungen erneuern die kommunalen Spitzenverbände ihre bereits in früheren Jahren erhobene Forderung, künftig auf eine Verrechnung des Kindergeldes mit dem Lohn- und Einkommensteueraufkommen zu verzichten, für die es nach der Abschaffung des Arbeitgeberkindergeldes auch keinen zwingenden Grund mehr gibt. Die bestehende, nicht mehr notwendige Regelung birgt latent den Anreiz zur Umgehung der Bestimmungen des Art. 106 Abs. 3, 4 GG und zu unzulässigen Lastenverschiebungen durch den Bund.
So genanntes Schulbedarfspaket
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen Schüler jeweils zum Schuljahresbeginn im Rahmen des SGB II und des SGB XII eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100 € erhalten. Die pauschale Leistung soll insbesondere die erforderliche Ausstattung zum Schuljahresbeginn umfassen und vor allem dem Erwerb von Gegenständen zur persönlichen Ausstattung für die Schule, wie z. B. Schulranzen oder Turnzeug, und dem Erwerb von Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien, wie z. B. Stifte, Hefte oder Taschenrechner, dienen. Die Leistungsträger sollen im begründeten Einzelfall einen Nachweis über die Zweckentsprechende Verwendung der Leistung verlangen können.
Dabei darf nicht übersehen werden, dass immer dort, wo die Leistung ihren eigentlichen Zweck nicht erreicht, eine unbare Abrechnung (Gutschein) oder sogar eine Sachleistung das Mittel der Wahl sein kann. Dieser Notwendigkeit soll dort gefolgt werden, wo eine Sicherstellung der Bedarfe von Kindern nicht anderweitig möglich ist. Sowohl für z. B. einzelne Bestandteile der Regelsätze wie auch bei den Leistungen für besondere Bedarfe von Kindern (Geburt, Klassenfahrt) kann es geboten sein, in der Reihenfolge: Leistung an Dritte – unbare Leistung/Gutschein – Sachleistung den Bedarf zu decken. Die von der Bundesregierung beabsichtigten Regelungen lassen dies allerdings nicht zu.
Das Schulbedarfspaket ist insoweit eine zusätzliche monetäre Leistung, bei der es zentral darauf ankommt, dass diese Leistung zweckbestimmt eingesetzt wird und den Kindern zugute kommt. Gleichwohl soll im Grundsatz der Pauschalcharakter der Grundsicherung erhalten bleiben, um den Hilfebedürftigen eigene Entscheidungen zur Lebensführung zu ermöglichen. Die Vorlage des Existenzminimumberichtes durch die Bundesregierung erfordert allerdings eine weitergehende Debatte um die Auskömmlichkeit der Regelsatzleistungen. Wir machen darauf aufmerksam, dass in vielen Kommunen mittlerweile Zuschüsse z.B. zur Mittagsverpflegung in Ganztageseinrichtungen (Kindertagesstätten und Schulen) oder zu Schuljahresbeginn gewährt werden. Auch Bonuscard-Regelungen werden von den Kommunen wieder ausgebaut, um die Teilnahme an kulturellen oder Sportangeboten für Grundsicherungsempfänger zu ermöglichen.
Als sach- und systemgerechte Lösung, die auch dem weiter schwelenden Problem der Mittagsverpflegung in Ganztagsschulen Rechnung trägt, steht die grundsätzliche Überprüfung der Bedarfsbemessung von Kindern durch die Regelsätze des SGB II und SGB XII aus. Zugleich bleibt zu prüfen, in welchen Bereichen unbare Leistungen oder Sachleistungen effektiver als Geldleistungen eine chancengerechte Teilhabe von Kindern am gesellschaftlichen Leben gewährleisten können. Grundsätzlich bedarf es auch hier einer koordinierten Strategie und aufeinander abgestimmter Maßnahmen, um den besonderen Bedarfslagen von Kindern und etwaiger Kinderarmut angemessen zu begegnen.
Mit freundlichen Grüßen“
(Quelle: DStGB Aktuell 4808)
Az: 900-00