Mitteilungen 01/2012, Seite 16, Nr. 5
Bewertung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes der EU-Vorschläge zur Novellierung des Vergaberechts 2012: Licht und Schatten
Die EU-Kommission hat am 20. Dezember 2011 ihre Vorschläge zur Revision der EU-Vergaberichtlinien vorgelegt. Während in einigen Bereichen (Beispiel: „Stärkung des Verhandlungsverfahrens“) die Forderungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes übernommen worden sind, gibt es in anderen Bereichen (Beispiel: „Separate Richtlinie über die EU-Konzessionsvergabe“ und zur „Regelung der interkommunalen Zusammenarbeit“) deutliche Kritik. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat stets die Auffassung vertreten, dass das Vergaberecht praxisgerechter und mit größeren Handlungsspielräumen für die Städte und Gemeinden als größtem öffentlichen Auftraggeber sowie insgesamt mittelstands- und investitionsfreundlicher ausgestaltet werden muss. Auch im Vergaberecht muss verstärkt das Kosten-Nutzen-Prinzip gelten.
Insgesamt lassen sich die Vorschläge der EU-Kommission, die in ein neues Rechtspaket für die Vergabe öffentlicher Aufträge einmünden werden und auch maßgeblichen Einfluss auf die rein nationalen Vergaben haben werden, schwerpunktmäßig wie folgt bewerten:
1. Ausweitung des Verhandlungsverfahrens
Die EU-Kommission schlägt im Vergleich zum bisherigen Recht mit dem Ziel der Vereinfachung und Flexibilisierung die Möglichkeit eines verstärkten Rückgriffs auf Verhandlungsverfahren, eine Ausweitung der elektronischen Mittel zur öffentlichen Beschaffung und eine drastische Verringerung der Dokumentationspflichten des Auftraggebers sowie der von den Bietern beizubringenden Unterlagen vor. Alle drei Ziele werden vom Deutschen Städte- und Gemeindebund geteilt. Insbesondere die Ausweitung des Verhandlungsverfahrens erweitert im Sinne der Forderungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes kommunale Handlungsspielräume. Diese ermöglichen den Städten und Gemeinden im Sinne einer qualitätsvolleren Vergabe eine größere Übereinstimmung zwischen der vom Auftraggeber konkret gewollten und daher ausgeschriebenen Beschaffungsleistung und der später tatsächlich vergebenen Leistung. Oder anders ausgedrückt: Zwischen dem Vergabe-Soll und dem späteren Vergabe-Ist kann über konkrete Verhandlungen eine bessere Deckung erzielt werden.
2. Keine Erhöhung der EU-Schwellenwerte
Die Kommissionsvorschläge sehen grundsätzlich eine Beibehaltung der bisherigen EU-Schwellenwerte (ab 2012: 200 000 Euro im VOL- und VOF-Bereich; 5 Mio. Euro bei Bauvergaben) vor. Dies ist aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes schon deswegen nicht nachvollziehbar, weil die EU-Kommission selbst festgestellt hat, dass bei europaweiten Vergaben nur 1,5 Prozent aller Aufträge an Unternehmen im Ausland vergeben werden. Das Ziel eines EU-Binnenmarktes im öffentlichen Auftragswesen kann damit als nicht erreicht angesehen werden. Folge wäre daher eine Erhöhung der EU-Schwellenwerte gewesen.
3. Eigenständige Richtlinie über Konzessionen
Die EU-Kommission hat eine eigenständige Richtlinie über die bisher von öffentlichen Auftragsvergaben nicht erfassten (Dienstleistungs-)Konzessionen vorgelegt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat insoweit stets – auch in Übereinstimmung mit dem EU-Parlament – einen eigenständigen Gesetzgebungsvorschlag über Konzessionen abgelehnt. Insbesondere Dienstleistungskonzessionen erfassen neben dem Energie- und Gesundheitsbereich auch den Bereich Wasserversorgung und -behandlung sowie die Abfallbeseitigung. Speziell im Bereich der Wasserversorgung droht aber die Gefahr, dass durch spezielle vergaberechtliche Wettbewerbsregeln eine Liberalisierung eintritt. Dies lehnt der Deutsche Städte- und Gemeindebund nachdrücklich ab. Insoweit besteht auch heute schon bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier Raum, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das EU-Primärrecht insoweit maßgebliche Vorgaben (Gleichbehandlung, Transparenz, Wettbewerb) machen. Darüber hinausgehender Regelungen bedarf es aber nicht.
4. Regelung zu sozialen und umweltfreundlichen Beschaffungen
Die EU-Vorschläge sehen keine zwingende Verpflichtung der Auftraggeber zur Berücksichtigung „grüner“, sozialer und/oder innovativer Produkte vor. Gegen eine derartige Verpflichtung, die dem Ziel einer Vereinfachung des Vergaberechts diametral entgegenlaufen würde, hat sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund auch stets gewandt. Das Vergaberecht würde hierdurch unnötig überfrachtet und im Vollzug kompliziert. Dennoch ist auch in Zukunft möglich, zum Beispiel umweltfreundliche und energieeffiziente Vergaben über Vorgaben in der Leistungsbeschreibung (Beispiel: Lieferung ausschließlich von Holzprodukten) zu regeln.
5. Regelungen zur interkommunalen Zusammenarbeit
Die EU-Kommission plant eigenständige Regelungen zur interkommunalen Zusammenarbeit. Dies wird vom Deutschen Städte- und Gemeindebund nachdrücklich abgelehnt. Die interkommunale Zusammenarbeit zwischen Städten und Gemeinden, die angesichts der demografischen Entwicklung etc. an Bedeutung gewinnt, ist keine Beschaffung auf dem (externen) Markt, sondern eine reine Aufgabenerledigung innerhalb der öffentlichen Hand (Kommunen). Die rechtlichen Vorgaben sind insbesondere durch die EuGH-Rechtsprechung (Beispiel: „Stadtreinigung Hamburg“) sowie durch die EuGH-Rechtsprechung zur In-House-Vergabe geregelt. Zusätzlicher und im Zweifel auch eingrenzender Regelungen durch die EU-Kommission bedarf es daher nicht.
6. Nächste Schritte
Die Kommissionsvorschläge werden dem Rat und dem EU-Parlament übermittelt, um ein Legislativverfahren und dessen Umsetzung vor Ende 2012 im Rahmen der Binnenmarktakte zu erreichen.
7. Abrufbarkeit der EU-Dokumente
Die EU-Dokumente können heruntergeladen werden unter:
http://ec.europa.eu/internal_market/publicprocurement/modernising_rules/index_de.htm
(Quelle: DStGB Aktuell 0112)
Az: 601-00