Mitteilungen 03-04/2014, Seite 119, Nr. 62

Stellungnahme zur Mindestlohnregelung im Tarifautonomiestärkungsgesetz

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie Stellung genommen. Der Entwurf regelt neben einer Reform der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und Änderungen beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz vor allem die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns mit einer Übergangszeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Dezember 2016. Von kommunaler Seite wird zunächst die zur Stellungnahme gewährte Frist von drei Arbeitstagen kritisiert. Ungeachtet dessen wird bereits auf einige aus kommunaler Sicht wichtige Aspekte in der Sache hingewiesen. Insbesondere wird bei Langzeitarbeitslosen ein Ansteigen der Eintrittsschwelle für die Vermittlung in reguläre Beschäftigung kritisiert.

In der Stellungnahme der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie heißt es unter anderem:

„Eine Stellungnahmefrist von lediglich drei Arbeitstagen lässt eine ausreichende Auseinandersetzung mit den beabsichtigten weitreichenden Änderungen nicht zu. Eine derart kurze Fristsetzung konterkariert die den kommunalen Spitzenverbänden auch nach § 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien gewährten Beteiligungsrechte. Sie lässt eine breite und angemessene Einbeziehung der kommunalen Praxis nicht zu. Die Einbeziehung der kommunalen Praxis darf aber nicht zu einem bloßen materiell ausgehöhlten Formalismus verkommen. Sie dient vielmehr der Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung wie auch der Prüfung von Gesetzgebungsvorhaben auf ihre Vollzugstauglichkeit und finanziellen Auswirkungen hin und ist insofern auch im wohlverstandenen Interesse der Bundesgesetzgebung. Vor diesem Hintergrund ist eine differenzierte Stellungnahme unter Einbeziehung unserer Mitglieder nicht möglich. Ungeachtet dessen möchten wir in der Sache auf folgende Aspekte hinweisen:

Grundsätzlich ist die Einführung eines Mindestlohns zu begrüßen, soweit der Anteil niedrig entlohnter Beschäftigungsverhältnisse in den letzten Jahren zugenommen hat. Teilweise wurden Arbeitsverträge unter Ausnutzung der geltenden Gesetze bewusst so gestaltet, dass die Arbeitnehmer aufstockend Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen mussten. Aufstockende SGB II-Leistungsberechtigte belasten insbesondere die kreisfreien Städte und Landkreise als kommunale Träger im SGB II stark, da das Erwerbseinkommen vorrangig auf die Leistungen des Bundes für die gesamte Bedarfsgemeinschaft im SGB II angerechnet wird und nur nachrangig auf die überwiegend von den kommunalen Trägern finanzierten Leistungen für Unterkunft und Heizung. Allerdings ist mehr als die Hälfte aller beschäftigten SGB II-Leistungsbezieher ausschließlich geringfügig beschäftigt und der überwiegende Teil aller übrigen beschäftigten SGB II-Leistungsbezieher übt keine sozialversicherungspflichtige Vollzeittätigkeit aus. Es bleibt daher abzuwarten, ob und in welchem Umfang die Einführung des Mindestlohns dazu beitragen kann, existenzsichernde Erwerbstätigkeit zu ermöglichen oder zu sichern.

Zugleich besteht durch die Einführung eines bundesweit einheitlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes insbesondere in den neuen Bundesländern. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat im Januar 2014 in einem aktuellen Bericht zu den „Zentralen Befunden zu aktuellen Arbeitsmarktthemen" festgestellt, dass es immer noch gravierende Unterschiede in den Wirtschaftsbedingungen in Ost- und Westdeutschland gibt, aufgrund derer das Risiko der Arbeitsplatzverluste in Ostdeutschland bei einem einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro wesentlich höher ist als in Westdeutschland. Das IAB plädiert daher aus ökonomischen Gründen für eine nach Ost und West differenzierte Lohnuntergrenze für einen Übergangszeitraum. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland nach wie vor signifikant höher ist als in Westdeutschland und trotz positiver Entwicklungen in den letzten Jahren zusätzliche Belastungen für den ostdeutschen Arbeitsmarkt vermieden werden sollten.

An dieser Stelle möchten wir auch darauf hinweisen, dass die bundeseinheitliche Mindestlohnregelung auch zu erheblichen finanziellen Folgen für die ostdeutschen Kommunen führen könnte. Die unterschiedliche regionale Entlohnung führt z. B. zu einem geringeren Lohnabstand zwischen einfachen Tätigkeiten im allgemeinen Arbeitsmarkt, die zukünftig mit dem Mindestlohn vergütet werden, und höher qualifizierten Tätigkeiten z. B. in Pflege- und Erziehungsberufen gerade in Ostdeutschland. Dies könnte erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und zukünftige Lohnforderungen in Tarifverhandlungen haben.

Es ist zu begrüßen, dass im Tarifautonomiestärkungsgesetz Ausnahmen insbesondere für Auszubildende und Praktikanten vorgesehen sind. Zu begrüßen ist auch die Regelung, die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose in den ersten 6 Monaten nach einer geförderten Beschäftigungsaufnahme vorsieht. Allerdings betrifft dies nur solche ehemals Langzeitarbeitslose, für die ein Zuschuss zum Arbeitsentgelt gewährt wird. Durch die Einführung des Mindestlohns auch für alle SGB II-Leistungsberechtigten steigt die Eintrittsschwelle für die Vermittlung in reguläre Beschäftigung bei Langzeitarbeitslosen. In der Folge werden die Chancen von SGB II-Leistungsberechtigten insgesamt, besonders aber von SGB II-Langzeitleistungsbeziehern, zur Integration in Arbeit erheblich erschwert. Vor diesem Hintergrund sollte die Möglichkeit eines Einstiegs in Beschäftigung zumindest für Langzeitleistungsbezieher erleichtert werden. Soweit durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, für die derzeit ohnehin wenige Mittel bereitstehen, die Minderleistung von Langzeitleistungsbeziehern nicht ausgeglichen werden kann, führt die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes sonst zu einem weiter verhärteten und länger andauernden Ausschluss von der Teilhabe am Arbeitsleben. Angesichts des knappen Eingliederungsbudgets gehen wir davon aus, dass es den Jobcentern nicht möglich sein wird, die Integration von Langzeitarbeitslosen in großem Umfang in der hier vorgesehenen Weise zu fördern. Durch die Koppelung der Ausnahme beim Mindestlohn an den Zuschuss zum Arbeitsentgelt könnte aber bei Arbeitgebern und Langzeitarbeitslosen die Erwartung geweckt werden, dass genau dies durch die Jobcenter erfolgt. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen diese Regelung auf die künftigen Integrationsleistungen der Jobcenter bei Langzeitarbeitslosen haben wird, wir befürchten aber negative Folgen. Es muss daher überprüft werden, ob die gefundene Regelung in der Praxis trägt oder eine generelle Ausnahme vom Mindestlohn für die ersten 6 Monate nach einer Beschäftigungsaufnahme durch Langzeitarbeitslose (auch ohne zusätzliche Förderung) erforderlich sein wird.

Die Ausnahme für Praktikanten gilt nur sehr eingeschränkt für verpflichtende Praktika im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- sowie Prüfungsordnung sowie für Praktika zur Ausbildungs- oder Studienvorbereitung in einem zeitlichen Umfang von vier Wochen. Freiwillige Praktika werden von der Ausnahme nicht erfasst, sind aber oftmals zur beruflichen Orientierung und zur Anbahnung einer beruflichen Tätigkeit erforderlich. Das Ziel, Missbrauch zu verhindern, ist nachvollziehbar, ließe sich aber auch durch eine generelle zeitliche Begrenzung erreichen. Als Maßstab dafür könnten z. B. die Dauern der Maßnahmen bei einem Arbeitgeber nach § 45 SGB III in Verbindung mit § 16 (3) SGB II (6 Wochen bzw. 12 Wochen für besondere Zielgruppen) herangezogen werden.

Hinzuweisen ist auch auf ein Sonderproblem, das bereits bei der ersten Prüfung aufgefallen ist: Die Umsetzung der Mindestlohnregelungen bspw. im Rahmen der Festsetzung der Taxi-Tarife durch kommunale Satzung birgt erhebliche Herausforderungen an die notwendigen bürokratischen Verfahren einschließlich der Zeitläufe sowie hinsichtlich der erforderlichen Begründung, da die Vergütung der Fahrer üblicherweise nicht nach Arbeitsstunde erfolgt. Diesen Erfordernissen tragen die vorgeschlagenen Regelungen nicht Rechnung. Wir gehen davon aus, dass bei intensiver Prüfung weitere Probleme bei anderen Beispielsfällen offenkundig werden.“

Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) steht im Internet unter www.sozialpolitik-aktuell.de zum Download zur Verfügung.

(Quelle: DStGB Aktuell 1314)

Az: 027-01

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