Mitteilungen 05-06/2011, Seite 152, Nr. 88
Landtag berät über Herabsetzung des Wahlalters bei Kommunal- und Landtagswahlen
Der Landtag Brandenburg berät derzeit über Initiativen zur Herabsetzung des Wahlalters. Einerseits ist im Koalitionsvertrag folgende Prüfung vereinbart:
„Die Koalitionspartner prüfen, ob junge Menschen früher mit entscheiden und daher schon mit 16 Jahren an den Kommunalwahlen teilnehmen dürfen“.
Andererseits hat die Fraktion der FDP bereits einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg und eines Dritten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes zur Herabsetzung des aktiven Wahlrechts vom vollendeten 18. auf das vollendete 16. Lebensjahr im Landtag eingebracht. „Um der Politikverdrossenheit bei einem Teil der Jugendlichen entgegen zu wirken und demokratische Entscheidungen auf eine breitere Legitimationsbasis zu stellen,“ sei es notwendig, „das Mindestalter für das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre zu senken.“ Nach den Vorstellungen der FDP soll das passive Wahlrecht unverändert bei 18 Jahren bleiben.
Am 31. März 2011 führte der federführende Ausschuss für Inneres des Landtages Brandenburg mit dem Rechtsausschuss und dem Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport eine öffentliche Anhörung durch. Daran nahmen neben den kommunalen Spitzenverbänden insbesondere auch Vertreter von Jugendorganisationen teil. Die meisten der eingeladenen Anzuhörenden befürworteten eine Absenkung des aktiven Wahlrechts. Jugendliche wiesen die erforderliche Reife auf. Einzelne Anzuhörende meinten, Parteien würden sich dann mehr auch um Belange von Jugendlichen kümmern. Bemerkenswert ist, dass sich die beiden einzigen anwesenden minderjährigen Jugendlichen gegenüber der Herabsetzung des Wahlrechts ablehnend äußerten. Dies entspricht nach einer aktuellen Studie auch der Mehrheit der Einstellung der Jugendlichen im Land Brandenburg.
Die Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg wurde von Referatsleiter Jens Graf vorgetragen. Wegen der besonderen Bedeutung des staatsbürgerlichen Wahlrechts wurde keine Entkoppelung von der Volljährigkeit befürwortet. Zudem wurde ein Gleichklang zum Wahlrecht zum Landtag verlangt. Kommunalwahlen seien keine Wahlen zweiter Klasse. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass in den Ländern, in denen das Jugendwahlrecht bereits seit längerer Zeit eingeführt ist, im Vergleich zu den Ländern, in denen dies nicht der Fall ist, keine Verbesserung der Partizipation junger Menschen festzustellen ist. So sei in den Ländern, in denen das Minderjährigenwahlrecht nicht eingeführt ist, der Abstand der Wahlbeteiligung der 19- bis 21jährigen zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung aller Wahlberechtigten bei der letzten Bundestagswahl niedriger gewesen, als in den Ländern in denen seit geraumer Zeit das Minderjährigenwahlrecht eingeführt ist. Die Erfahrungen dieser Länder zeigen deutlich, dass das Minderjährigenwahlrecht durch eine breite Kampagne zur Stärkung der Partizipation begleitet werden müsse. Dies sei auch das Ergebnis der Wahlen zum Nationalrat in Österreich.
Schon im Vorfeld der Anhörung hatte sich im Landtag bei den Fraktionen von SPD, DIE LINKE, FDP und Bündnis90/DIE GRÜNEN eine breite Unterstützung der Absenkung des aktiven Wahlrechts abgezeichnet. Die CDU lehnt die Einführung des Minderjährigenwahlrechts ab. SPD, DIE LINKE und GRÜNE sind dafür, das Wahlalter auf allen Ebenen (Landtag, kommunale Vertretungskörperschaften, Volksgesetzgebung) einzuführen.
In ihrer im Verlauf der Anhörung veröffentlichten Pressemitteilung sprach sich die Fraktion der SPD weitergehend auch für eine Herabsetzung des passiven Wahlrechts von 16 auf 18 Jahre aus. Die Fraktion der FDP lehnt ebenso wie die Fraktion der CDU diese Ausweitung ab. Im gemeindlichen Bereich würde eine Absenkung des passiven Wahlrechts bedeuten, dass junge Menschen als Mitglieder der Gemeindevertretung für ihre Mitbürger z. B. Kredite in Millionenhöhe oder wichtige Personalentscheidungen treffen könnten, für die sie im privaten Bereich die Genehmigung ihrer Eltern oder des Vormundschaftsgerichts benötigten. Aus Sicht des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg trägt eine solche Veränderung der Zusammensetzung der Gemeindevertretung nicht dazu bei, dass das Vertrauen der Menschen in die Vertretungskörperschaft gestärkt wird.
Das Präsidium stimmte der Stellungnahme in seiner letzten Sitzung zu. Es stellte fest, dass Städte, Gemeinden und Ämter bei ihren Entscheidungen stets auch die Belange von Kindern und Jugendlichen im Blick haben. Es ermutigt e die Mitglieder des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg weiterhin, auch die jüngeren Einwohner altersangemessen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das Präsidium nahm zur Kenntnis, dass sich im Landtag Brandenburg eine verfassungsändernde Mehrheit zur Absenkung des Wahlalters für Kommunal- und Landtagswahlen vom vollendeten 18. auf das vollendete 16. Lebensjahr gebildet hat. Es begrüßte, dass jedenfalls kein Unterscheidung zwischen Kommunal- und Landtagswahlen vorgenommen werden soll. Das Präsidium lehnt eine Herabsetzung des passiven Wahlrechts von 18 auf 16 Jahre ausdrücklich ab. In den Verwaltungsorganen der Städte und Gemeinden sollten nur Personen mitwirken dürfen, die auch in eigenen Angelegenheiten voll geschäftsfähig sind. Sollte im Land Brandenburg das Wahlalter für Landtags- und Kommunalwahlen abgesenkt werden, sind – so das Präsidium - Finanzierung und Durchführung einer mit Österreich oder anderen Ländern vergleichbaren, auf Dauer angelegten Informations- und Bildungskampagne erforderlich. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg bietet in diesem Zusammenhang seine Mitarbeit an der Konzeption einer solchen Kampagne an.
Nachfolgend wird dies schriftliche Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg dokumentiert:
„… wir danken für die Gelegenheit, zu den übermittelten Gesetzentwürfen Stellung zu nehmen. Mit Blick auf die beschränkte Redezeit erlauben wir uns, auf die übermittelten Schreiben zusammenfassend zu antworten. Voraus schicken möchten wir den Hinweis, dass die Thematik auf der nächsten Sitzung des Präsidiums unseres Verbandes unter Auswertung der Ergebnisse der heutigen Anhörung erneut beraten werden wird. Sollte dies zu einer Änderung der Position führen, werden wir Sie darüber nach der Sitzung unterrichten.
1. Rückblick
Initiativen zur Absenkung des Mindestwahlalters des Kommunalwahlrecht sind im Landtag Brandenburg mehrfach erörtert worden. Am 20. Juni 1996 und am 16. Mai 2002 führten die jeweiligen Hauptausschüsse Anhörungen durch. Dabei sind die Argumente, die für und gegen eine Änderung des aktiven Wahlrechts angeführt wurden, breit diskutiert worden. Insbesondere ist erörtert worden, ob eine solche Änderung einen Beitrag dazu leisten kann, junge Menschen an das Gemeinwesen heranzuführen. Andererseits wurde aber auch klar, dass das Interesse der Jugendlichen selbst an einer solchen Rechtsänderung sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.
Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hatte bereits damals eine Absenkung des Wahlalters nicht befürwortet. Das Wahlalter sollte weiterhin an die Volljährigkeit gebunden werden. Damit sollte auch die Bedeutung der Kommunalwahlen herausgestellt werden. Ein weiterer Gesichtspunkt war, dass bei Bürgerentscheiden in Städten und Gemeinden die Stimmberechtigung an das aktive Wahlrecht zu den Kommunalwahlen geknüpft ist. Bei einem Bürgerentscheid treffen die Gemeindebürger anstelle der Stadtverordnetenversammlung oder Gemeindevertretung abschließende Sachentscheidungen, zum Teil mit erheblicher Tragweite für die weitere Gemeindeentwicklung. Es könnte also die Situation entstehen, dass Personen, die in eigenen Angelegenheiten noch nicht geschäftsfähig sind, Entscheidungen zu treffen haben, die einschneidende Auswirkungen auf ihre Mitbürger entfalten können. Dies wäre widersprüchlich und könnte vielen Menschen nicht vermittelt werden. Im übrigen war der Städte-und Gemeindebund Brandenburg der Auffassung, dass eine Absenkung des Wahlrechts einer Änderung des Artikels 22 der Landesverfassung bedarf.
Eine Herabsetzung des aktiven Wahlrechts auf das 16. Lebensjahr würde im Land Brandenburg jeweils pro Jahrgang zwischen 15.000 und 20.000 Jugendliche betreffen. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahre 2008 waren 2 148 229 Personen wahlberechtigt.
2. Kinder und Jugendliche sind Teil der örtlichen Gemeinschaft
Die Begründung zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der FDP unterstellt, dass Themen, die Jugendliche besonders bewegten, nicht im Blickpunkt der Arbeit von Städten und Gemeinden stehen. Dem ist entgegenzutreten. Städte und Gemeinden sind sich bewusst, dass zu einem attraktiven Gemeinwesen ein jugend- und familiengerechtes Angebot gehört. Kinder und Jugendliche sind Teil der örtlichen Gemeinschaft. Seit Gründung des Landes Brandenburg haben sich Städte- und Gemeinden in besonderer Weise für die Anliegen junger Menschen eingesetzt und Einrichtungen der Daseinsvorsorge für Kinder- und Jugendliche geschaffen.
3. Kinder und Jugendliche werden in Entscheidungen einbezogen
Es wurden zudem unterschiedlichste Partizipationsverfahren entwickelt. Förmliche Instrumente sind in der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg sowie in den Haupt- oder Einwohnerbeteiligungssatzungen der Gemeinden verankert. Beispielsweise wurden auf dieser Grundlage in verschiedenen Städten und Gemeinden Jugendbeiräte eingerichtet.
Daneben gibt es eine Vielzahl informeller Methoden, Kinder und Jugendliche in die Entscheidungen der Kommunen einzubeziehen. Beispiele finden sich in dem vom damaligen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport herausgegebene Handbuch „Kinder und Jugendliche bestimmen mit“ aus dem Jahr 1998. Darin sind neben rund 50 auf Kinder und Jugendliche ausgerichtete Partizipationsmethoden auch 18 Praxisporträts von Partizipationsprojekten für Kinder und Jugendliche aus Städten und Gemeinden aller Größenklassen des Landes Brandenburg dargestellt. Hinzu kommt der tägliche Kontakt zwischen den Städten, Gemeinden und Ämter und ihren Bürgerinnen und Bürgern.
Ein Grundsatz gemeindlicher Partizipation besteht allerdings darin, dass den Adressaten von Anfang an die Reichweite ihrer Beteiligung deutlich gemacht wird. Zudem muss die Stelle, die am Ende letztlich die Entscheidung zu verantworten hat, über die Reichweite der Partizipation selbst bestimmen können. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die in der Bevölkerung geweckten Erwartungen nicht erfüllt werden können. Vor diesem Hintergrund ist es nicht hilfreich, wenn die Gemeinden landesseitig regelmäßig in Partizipationsfragen neu belehrt werden. Das Land könnte selbst überlegen, wie die von seinen Behörden getroffenen Entscheidungen eine größere Akzeptanz durch neue Partizipationsverfahren erreichen können.
4. Defiziten im Verständnis des Staatsaufbaus muss entgegengewirkt werden
Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg teilt allerdings die Auffassung, dass bei Kindern und Jugendlichen, aber auch in breiten Teilen der übrigen Bevölkerung, Defizite im Verständnis des Staatsaufbaus und der Verantwortlichkeit der verschiedenen kommunalen und staatlichen Ebenen besteht. Die in mehreren Fragen zum Ausdruck kommende Erwartung, dass insoweit die politische Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb der Schulen weiter intensiviert werden muss, wird vom Städte und Gemeindebund Brandenburg nachhaltig geteilt. Dabei sollten auch die Medien einbezogen werden, die breite Kreise der Bevölkerung erreichen. Unser Verband hat sich in der Vergangenheit auch in verschiedenen Kampagnen im Land Brandenburg beteiligt. Die singuläre Einführung eines Minderjährigenwahlrechtes könnte nur einen geringen Beitrag dazu leisten, dies zu verbessern.
5. Minderjährigenwahlrecht leistet keinen Beitrag gegen Abwanderung
Die Erfahrungen der ostdeutschen Bundesländer, die das Minderjährigenwahlrecht eingeführt haben, lassen überdies keinen Schluss zu, dass mit der Absenkung des aktiven Wahlalters ein spürbarer Beitrag gegen die Abwanderung junger Menschen geleistet werden konnte. Entscheidend sind Angebote an attraktiven Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie die subjektiven Zukunftsperspektiven.
6. Kommunalwahlen sind keine Wahlen „zweiter Klasse“
Im übrigen tritt der Städte- und Gemeindebund Brandenburg auch dem durch den Gesetzentwurf vermittelten Eindruck entschieden entgegen, bei Kommunalwahlen handele es sich um Wahlen geringerer Bedeutung oder Wahlen zweiter Klasse, für die ein geringeres Maß an Einsichtsfähigkeit erforderlich sei als für die Wahlen zum Landtag oder dem Deutschen Bundestag. Der Lebensbereich der Kinder und Jugendlichen im Land Brandenburg wird ganz maßgeblich von der Landespolitik bestimmt. Mehrere Volksinitiativen befassten sich mit der Personalausstattung in den Kindertagesstätten, Kosten der Schülerbeförderung oder dem Musikschulwesen. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hätte kein Verständnis dafür, dass das aktive Wahlrecht nur partiell geöffnet werden würde. Wenn sich eine Mehrheit im Landtag Brandenburg zur Änderung der Landesverfassung zur Absenkung des Wahlalters findet, so wäre es zwingend geboten, für die Wahlen, für die das Land Brandenburg selbst eine Gesetzgebungskompetenz besitzt, einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Andernfalls würde darin ein Ungleichbehandlung gesehen. Die Aufgaben von Land und Kommunen stehen nämlich gleichrangig nebeneinander.
7. Jugendliche selbst haben differenzierte Einstellung zur Herabsetzung des Wahlalters
Die in verschiedenen Fragen angesprochene Einstellung brandenburgischer Jugendlicher zur Herabsetzung des Wahlalters findet sich in der Studie „Jugend in Brandenburg 2010 - Kurzbericht zu Lebenssituationen zu Einstellungen brandenburgischer Jugendlicher“ , die nachfolgend auszugsweise wiedergeben wird:
Wahlalter: Die Fragen bezüglich der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre waren ebenfalls neu im Fragebogen der aktuellen Studie. Eine Zustimmung für eine Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre äußern 33,9 Prozent der Jugendlichen. Schüler im nicht wahlberechtigten Alter (unter 18 Jahre) wünschen dabei eher eine Herabsetzung des Wahlalters (45,9% Zustimmung) als wahlberechtigte Befragte (19,9%). Rund zwei Drittel (65,8%) der nicht wahlberechtigten Befragten geben an, bei einer Absenkung des Wahlalters von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen zu wollen, wobei männliche Jugendliche eher wählen gehen würden (71,2%) als weibliche Jugendliche (60,1%). Die geäußerte Wahlbereitschaft im Falle der Herabsetzung des Wahlalters variiert außerdem in Abhängigkeit vom Schultyp: Von den nichtwahlberechtigten Gymnasialschülern würden mehr Jugendliche wählen gehen als von den Oberschülern und den Schülern von OSZ. Rund zwei Drittel der nicht wahlberechtigten Befragten glauben völlig (28,7%) oder teilweise (43,2%), im Falle einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre selbst mehr Einfluss auf die Politik nehmen zu können; ca. ein Drittel glaubt dies nicht (9,1%) oder kaum (18,9%). Rund 53 Prozent der nicht wahlberechtigten Befragten sind nicht oder eher nicht der Ansicht, dass sie sich bei einer Herabsetzung des Wahlalters mehr für Politik interessieren würden. 60,4 Prozent der Jugendlichen der Gesamtstichprobe und 51,0 Prozent der nicht Wahlberechtigten bezweifeln teilweise oder völlig, dass bei einer Absenkung des Wahlalters mehr für die Schulen getan würde.
Dieses differenzierte Ergebnis deckt sich auch mit den Eindrücken, die wir in Diskussionen mit unseren Mitgliedern gewonnen haben
8. Auswirkungen auf spätere Wahlbeteiligung nicht erkennbar
Soweit ersichtlich, liegen für die anteilige Wahlbeteiligung von Jugendlichen an Kommunalwahlen keine landesweiten Auswertungen in Form einer amtlichen Wahlstatistik vor.
Wenn allerdings die These der antragstellenden Fraktion richtig wäre, dass eine Absenkung des Wahlalters zu einer stärkeren Beteiligung junger Menschen an politischen Prozessen führt, so wäre zu erwarten, dass sich dies auch bei den Beteiligungen an anderen Wahlen auswirkt. In Ländern, in denen das Jugendwahlrecht bereits praktiziert wird, müsste daher eine im Vergleich zu anderen Bundesländern gesteigerte Wahlbeteiligung feststellbar sein. Insbesondere müsste der Abstand zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung des jeweiligen Bundeslandes geringer als in den Ländern sein, in denen kein Jugendwahlrecht eingeführt ist.
Blickt man auf die von der amtlichen Wahlstatistik ausgewiesenen Ergebnisse der letzten Bundestagswahl (Anlage), so stellt man fest das die Wahlbeteiligung der 18 bis unter 21-jährigen deutlich unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung liegt.
Es fällt auf, dass nach wie vor Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern feststellbar sind. In den alten Bundesländern betrug die Wahlbeteiligung insgesamt 72,9 %, die der Wähler im Alter zwischen 18-21 Jahren 64,5 Prozent. In den neuen Bundesländern lag die Wahlbeteiligung insgesamt bei 65,1 % und der Personen zwischen 18-21 Jahren bei 55,7 %. In den Ländern, die das Jugendwahlrecht eingeführt haben ist der Abstand zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung größer als in den Ländern, die das Wahlrecht auf kommunaler Ebene weiterhin an die Volljährigkeit binden. Die höchste Wahlbeteiligung weist Hessen auf, ein Land, in dem das Jugendwahlrecht wieder abgeschafft wurde. Dies zeigt, dass die Einführung des Jugendwahlrechts keine grundlegende Veränderung der Einstellungen bewirkt hat.
9. Stärkere Bereitschaft zum Engagement für Gesellschaft und örtliche Gemeinschaft kann nur durch Maßnahmenbündel geweckt werden
An mehreren Stellen des Fragenkatalogs wird nach politischen Einstellungen der Jugendlichen gefragt. Wir erlauben uns, insoweit die oben zitierte Studie „Jugend in Brandenburg 2010 - Kurzbericht zu Lebenssituationen zu Einstellungen brandenburgischer Jugendlicher“ zu zitieren:
Politisches Interesse und Zufriedenheit mit der Politik: Das Interesse für Politik verringerte sich gegenüber der Vorgängerstudie, nachdem es zwischen 1999 und 2005 angewachsen war (1999: 36,4 %; 2005: 41,0%; 2010: 37,5%). Vor allem weibliche Jugendliche und über 18-Jährige zeigen im Jahr 2010 deutlich weniger politisches Interesse als im Jahr 2005. Demgegenüber erhöhten sich die Werte für die selbst eingeschätzte politische Kompetenz seit 1999. Allerdings sind sie seit der Vorgängerstudie nur leicht angewachsen, nachdem sie im vorangehenden Zeitraum stark angestiegen waren (1999: 25,4%; 2005: 35,8%; 2010: 37,5%). Während im Jahr 2005 55,7 Prozent der Befragten angaben, zukünftig politisch aktiv sein zu wollen, sind es im Jahr 2010 nur noch 42,6 Prozent. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der „Politischen Partizipationsbereitschaft“ (Skala, s. Anhang) verringerten sich zwischen 1999 und 2010 auf eine minimale Differenz. Obwohl die Werte auf der Skala „Politikverdrossenheit“ (s. Anhang) im Vergleich zur Vorgängerstudie gesunken sind, äußern noch immer 83,6 Prozent der Befragten eine „Hohe“ oder „Eher hohe“ Politikverdrossenheit (2005: 88,7%). Ein Rückgang an Politikverdrossenheit ist insbesondere in den Altersgruppen der 12-bis 14-Jährigen (2005: 91,7%; 2010: 79,9%) und der 15- bis 17-Jährigen (2005: 88,9%; 2010: 81,2%) festzustellen. Befragt nach ihrer Zufriedenheit mit einzelnen Themen der Landespolitik, äußern sich die Jugendlichen 2010 bei allen Themen mehrheitlich eher zufrieden und insgesamt deutlich zufriedener als noch im Jahr 2005.
Dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg ist es ein sehr wichtiges Anliegen, Menschen für ein Engagement für die Gesellschaft oder die örtliche Gemeinschaft zu bewegen. Es ist allerdings keine Untersuchung bekannt, die eine Auswirkung der Absenkung des Wahlrechts bei Kommunalwahlen auf die Bereitschaft junger Menschen, sich für die örtliche Gemeinschaft einzusetzen oder sich in politischen Parteien zu engagieren, nachgewiesen hat. Nach dem Eindruck unseres Verbandes liegt es vielmehr so, dass Anliegen, die von Kindern oder Jugendlichen an Behörden oder Politiker herangetragen werden, von diesen ernsthaft behandelt werden müssen. Die im Kontakt mit Kommune oder Staat gesammelten ersten Erfahrungen werden mit prägend für das weitere Bild sein, dass sich ein junger Mensch von Staat oder Kommunen bildet. Zudem ist die Bereitschaft, sich zunächst für bestimmte Projekte zu engagieren bei Jugendlichen hoch ausgeprägt. Dem ist eine höhere Bedeutung beizumessen, als der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Zum anderen ist allen Praktikern klar, dass auf vielfältigsten Ebenen für die Bereitschaft geworben werden kann, sich im Verein oder einer Einrichtung zu engagieren. Als Beispiel wird auf die vielfältigen Initiativen zur Nachwuchsgewinnung der Freiwilligen Feuerwehren verwiesen.
Dies belegen auch die in Österreich gesammelten Erfahrungen. Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre war Bestandteil eines vom österreichischen Parlament beschlossenen Demokratiepaketes. Im Rahmen einer Demokratie-Initiative hatte die Regierung mit zahlreichen Kooperationspartnern ein umfangreiches und vielfältiges Maßnahmenpaket entwickelt und indiziert, mit dem Ziel, Österreichs Jugend „Demokratie und Politik“ zu vermitteln und die politische Bildung zu stärken. Dies betraf auch eine bessere Verankerung der politischen Bildung in den Lehrplänen und eine explizite Verankerung von kompetenzorientiertem Unterricht. Auch wurde eine besondere Servicestelle geschaffen. Dies zeigt, dass allein mit einer Absenkung des Wahlalters kaum Änderungen von Einstellungen herbeizuführen sind.
Sollte im Land Brandenburg das Wahlalter für Landtags- und Kommunalwahlen abgesenkt werden, sind Finanzierung und Durchführung einer vergleichbaren, auf Dauer angelegten Kampagne erforderlich. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg bietet in diesem Zusammenhang seine Mitarbeit an der Konzeption einer solchen Kampagne an.“
Jens Graf, Referatsleiter
Az: 100-03