Mitteilungen 08/2016, Seite 355, Nr. 155
Auch Einzelfallentscheidungen in der Jugendhilfe stehen der politischen Vertretungskörperschaft – und nicht ausschließlich dem Jugendhilfeausschuss – zu
In dieser Ausgabe ist ein äußerst aufschlussreiches Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 4. Februar 2016 veröffentlicht. Darin befasst sich das Gericht mit dem Verhältnis der Beschlussrechte von Jugendhilfe-ausschuss und politischer Vertretungskörperschaft (hier Stadtrat Dresden). In dem Verfahren wehrte sich der Jugendhilfeausschuss erfolglos gegen den Beschluss des Stadtrates, der einen Beschluss des Jugendhilfeausschusses um mehrere Widerrufsvorbehalte ergänzt hatte. Gegenstand des Beschlusses war eine Einzelfallentscheidung zur Förderung eines freien Trägers.
Das Bundesverwaltungsgericht verneinte eine Verletzung der Beschluss- und Anhörungsrechte des Jugendhilfeausschusses durch den Stadtrat und verwies auf die im Kommunalverfassungsrecht verankerte Haushalts-, Beschluss- und Satzungsgewalt der politischen Vertretungskörperschaft. Es gehöre nicht zu den das Beschlussrecht eines Jugendhilfeausschusses (§ 71 III 1 SGB VIII) prägenden Merkmalen, dass ausschließlich der Jugendhilfeausschuss Einzelfallentscheidungen in Jugendhilfeangelegenheiten treffen dürfe, so das Gericht.
Vielmehr habe das Beschlussrecht des Jugenhilfeausschusses die besondere demokratische Rolle der unmittelbar vom Volk legitimierten Vertretungskörperschaft und die dieser zugewiesenen Kompetenz-Kompetenz zu wahren. Ausdrücklich hielt das Bundesverwaltungsgericht – entgegen den Auffassungen in vier (!) SGB VIII-Kommentaren – fest, dass die Vertretungskörperschaft in Fragen der Jugendhilfe nicht darauf beschränkt ist, Grundsatz- oder Rahmenbeschlüsse zu fassen. Dies gelte auch für Einzelfallentscheidungen.
Eine Verletzung des Beschlussrechtes des Jugendhilfeausschusses bestehe nur, wenn dieses in quantitativer oder qualitativer Hinsicht substantiell ausgehöhlt werde bzw. das Anhörungsrecht nicht hinreichend eingeräumt werde. Beides sah das Gericht im streitgegenständlichen Fall als nicht gegeben an.
Der Wert der Entscheidung liegt vor allem in der ausgewogenen Darstellung von kommunalverfassungs-rechtlichen und jugendhilferechtlichen Erwägungen. Sie stellt zutreffend die unmittelbare demokratische Legitimierung der Vertretunskörperschaft heraus und sichert somit eine fachübergreifende Befassung im Interesse des Gemeinwohls. Die Entscheidung dürfte vor Ort in verschiedenen Angelegenheiten der Jugendhilfe Bedeutung erlangen.
Für den kreisangehörigen Bereich dürfte die Entscheidung mit Blick auf die Beschlussfassung zu den Grundsätzen der Höhe und Staffelung der Elternbeiträge relevant sein (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KitaG). In Würdigung der Erwägungen des Gerichts steht dem Kreistag die Möglichkeit zu, vom Jugendhilfeausschuss abweichende bzw. ergänzende Beschlüsse zu treffen.
Bianka Petereit, Referatsleiterin
Az: 404-00