Mitteilungen 09/2011, Seite 287, Nr. 166
Evaluierung der Kommunalverfassung – Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg an das Ministerium des Innern
Das Ministerium des Innern führt derzeit eine Evaluierung der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf) durch. Mit Rundschreiben vom 19. April 2011 hatte die Landesgeschäftsstelle die Mitglieder des Verbandes über Einzelheiten unterrichtet. Nach Auswertung schriftlicher Stellungnahmen, von Gremienberatungen und intensiver Erörterungen in mehreren Kreisarbeitsgemeinschaften wurde nach der Behandlung im Präsidium dem Ministerium des Innern die nachfolgend dokumentierte Stellungnahme vom 8. Juni 2011 übermittelt:
„Sehr geehrter Herr Keseberg,
unter Bezugnahme auf unser Gespräch am 13. April 2011 übermittele ich Ihnen das Ergebnis der bisherigen verbandsinternen Auswertung der mit der neuen Kommunalverfassung des Landes Brandenburg gesammelten Erfahrungen.
Dabei weisen wir darauf hin, dass der Bereich „Doppik“ gesondert evaluiert wird und Sie dazu bereits eine Stellungnahme erhalten haben. Aufgrund der Hinweise Ihres Schreiben sind die Bereiche „Wirtschaftliche Betätigung“ und „Kommunalwahlrecht“ weitgehend ausgespart worden.
1. Vorbemerkung
Bei der Auswertung haben wir mit mehreren Kreisarbeitsgemeinschaften und der Arbeitsgemeinschaft ehrenamtlicher Bürgermeister ausführliche Erörterungen durchgeführt, eine schriftliche Abfrage unter den Mitgliedern durchgeführt sowie die Beratungspraxis sowie die zahlreichen in den letzten Jahren durchgeführten Workshops für Mitglieder von Gemeindevertretungen berücksichtigt.
Das Präsidium unseres Verbandes hat in seiner letzten Sitzung die Auffassung vertreten, dass mit dem untersuchten Teil der der neuen Kommunalverfassung die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden sowie das bürgerschaftliche Engagement nicht spürbar gestiegen sind. Es sieht das Ziel, klare Verantwortungsstrukturen zu schaffen, nur als zum Teil erfüllt an. Die Verwaltungseffizienz ist durch die Reform nicht messbar gestiegen. Das Präsidium hat zudem befürwortet, die Erörterung mit den Mitgliedern weiter fortzuführen.
2. Rückblick: Allgemeine Zielstellungen der Reform
Die Novelle der Kommunalverfassung erstreckte sich auf die vier folgenden thematischen Komplexe: das allgemeine Kommunalverfassungsrecht (Schwerpunkt dieser Darstellung), die Einführung des doppischen Haushaltswesens (die gesondert evaluiert wird), den Komplex wirtschaftliche Betätigung (die Evaluierung wird vom Ministerium des Innern durch Vorlage eines eigenständigen Gesetzentwurfs bereits als abgeschlossen angesehen) sowie Regelungen des Kommunalwahlrechts (nicht Gegenstand der aktuellen Evaluierung).
Der Gesetzgeber hatte sich folgende Hauptziele gestellt: die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Kommunen, den Abbau von Reibungsverlusten zwischen Verwaltung und Mandatsträgern sowie die Schaffung klarer Verantwortungsstrukturen, die Klärung von Zuständigkeitsfragen einschließlich der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten, die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements sowie die Erhöhung der Verwaltungseffizienz durch den Abbau von Normen und Standards (Landtag Brandenburg, Drucksache 4/5056, S. 1)
3. Teilziel: Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Kommunen
a) Die Erörterungen in den Kreisarbeitsgemeinschaften und in der Arbeitsgemeinschaft ehrenamtlicher Bürgermeister haben den Nutzen des – zwar unvollständigen - Aufgabenkatalogs gemeindlicher Selbstverwaltungsaufgaben in § 2 Abs. 2 BbgKVerf bestätigt. Gerade für die gemeindliche Praxis hat sich dies als wertvolle Orientierung erwiesen. In einzelnen Fällen wurde der Landesgeschäftsstelle allerdings berichtet, dass der Katalog seitens der Landesbehörden als abschließend angesehen wurde. Dies rechtfertigt aber nicht den Wegfall des Kataloges.
b) Problematisch ist allerdings, dass § 2 Abs. 2 BbgKVerf nicht von der entsprechenden Anwendung auf Landkreise ausgenommen wurde. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Aufgabenabgrenzung zwischen Gemeinden und Landkreisen sollte dies korrigiert werden.
Die generalklauselartige, sehr weitgehende und in den Aufgabenbestand der Gemeinden eingreifende Aufgabenzuweisung auf Landkreise in § 122 BbgKVerf ist verfassungsgerichtlich nicht geboten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist den Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung für die Ausgestaltung ihres Aufgabenbereichs nur eingeschränkt gewährleistet (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2007, 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04, Rz. 116, zit. nach juris). Anders als bei den Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) beschreibt das Grundgesetz die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantwortet dies dem Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 79, 127 <150>; 83, 363 <383>). Dessen Gestaltungsspielraum bei der Regelung des Aufgabenbereichs der Kreise findet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dort Grenzen, wo verfassungsrechtliche Gewährleistungen des Selbstverwaltungsrechts der Kreise entwertet würden. Der Gesetzgeber darf – so das Bundesverfassungsgericht -. diese Gewährleistung nicht unterlaufen, indem er keine Aufgaben zuweist, die in der von der Verfassung selbst gewährten Eigenverantwortlichkeit wahrgenommen werden könnten. Der Gesetzgeber muss nach der Rechtsprechung deshalb einen Mindestbestand an Aufgaben zuweisen, die die Kreise unter vollkommener Ausschöpfung der auch ihnen gewährten Eigenverantwortlichkeit erledigen können. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG spreche zwar nicht dagegen, den Kreisen auch staatliche Aufgaben in den übertragenen Wirkungskreis zuzuweisen, aber er garantiere daneben eine Zuweisung in den eigenen Wirkungskreis, also einen Bestand an überörtlichen, kreiskommunalen Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises. Dieser Aufgabenbestand müsse für sich genommen und im Vergleich zu zugewiesenen staatlichen Aufgaben ein Gewicht haben, das der institutionellen Garantie der Kreise als Selbstverwaltungskörperschaften gerecht werde. Hält der Gesetzgeber diese Begrenzung ein, so bleibt ihm ein weiter Spielraum, der die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG nicht berührt (Bundesverfassungsgericht, a.a.O., Rz. 117).
Demgegenüber gehört zum Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung das Zugriffsrecht auf alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft, die nicht anderen Verwaltungsträgern rechtmäßig zugewiesen sind. Der Gesetzgeber hat zudem „den verfassungsgewollten prinzipiellen Vorrang einer dezentralen, also gemeindlichen, vor einer zentral und damit staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung zu berücksichtigen“ (Bundesverfassungsgericht, a.a.O, Rz. 148).
Bei der Aufgabenverteilung zwischen Gemeinden und Landkreisen ist ferner das vom Bundesverfassungsgericht in der Rastede-Entscheidung (Beschluss vom 23. November 1988 , 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83, zit. nach juris) formulierte Aufgabenverteilungsprinzip des Art 28 Abs 2 Satz 1 GG zu beachten. Danach besteht auch außerhalb des Kernbereichs der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat. Dieses Prinzip gilt zugunsten kreisangehöriger Gemeinden auch gegenüber den Kreisen. Der Gesetzgeber darf den Gemeinden danach eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also etwa dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre, und wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs 2 Satz 1 GG überwiegen.
Vor diesem Hintergrund ist die in § 122 BbgKVerf vorgenommene Aufgabenzuweisung an die Landkreise zu überprüfen. Dies gilt insbesondere für die Kompetenzen der Landkreise, gemeindliche Aufgaben an sich zu ziehen. Dies hat regelmäßig zur Folge, dass den Gemeinden einerseits Aufgaben entzogen werden und andererseits über Steigerungen der Kreisumlage den Gemeinden Finanzmittel für die eigene Aufgabenerfüllung genommen werden.
Die in Absatz 4 den Landkreisen eingeräumte Möglichkeit, durch Kreistagsbeschluss eine Aufgabe zu seiner ausschließlichen Zuständigkeit zu erheben, dürfte mit den dargestellten Grundsätzen der Aufgabenverteilung unvereinbar sein. Gleiches gilt für die Übernahme von Gemeindeaufgaben gegen den Willen der Gemeinden nach § 122 Abs. 3 BbgKVerf. Mit Blick auf die ausufernden Kreisumlagen ist die Übertragung von Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben durch eine Generalklausel (§ 122 Abs. 2 BbgKVerf), die an die Leistungsfähigkeit der Gemeinden knüpft, zu überprüfen. Einzelne Bundesländer – die eine kleinteiligere Gemeindestruktur als das Land Brandenburg aufweisen – sehen in ihren Landkreisordnungen jedenfalls die Zuständigkeit der Kreise zur Erfüllung von Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben nicht vor (vgl. Nachweise bei Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., Rz 869.). Jedenfalls ist in § 131 BbgKVerf § 2 BbgKVerf ausdrücklich von einer entsprechenden Anwendung auf die Landkreise auszunehmen.
c) Der gemeindlichen Eigenverantwortung sollte auch die Absenkung der Einwohnerzahlen für Große kreisangehörige Städte von 45.000 auf 35.000 Einwohner in § 1 Abs. 4 BbgKVerf dienen. Verbunden wurde dies mit einem Antragsrecht auf Aufgabenübernahme Großer kreisangehöriger Städte. Bereits im Gesetzgebungsverfahren hatte der Städte- und Gemeindebund Brandenburg darauf hingewiesen, dass das gesetzgeberische Ziel einer Funktionalreform „im kleinen“ aufgrund des engen Wortlautes des Absatzes 4 nicht erreichbar sei. Dieser beauflagt die Städte nämlich mit erheblichen Nachweispflichten und kreisbezogenen Schutzklauseln. Dies hat sich in den vergangenen Monaten bestätigt. Hinzu kommt, dass die Landesregierung den gesetzgeberischen Willen einer Aufgabenübertragung auf eine größere Zahl Großer kreisangehöriger Städte durch die Eliminierung sämtlicher gesetzlicher Aufgabenübertragungen auf diese konterkariert hat. Es ist zu befürchten, dass nach dem Verlust der Mittleren kreisangehörigen Städte von der Landesregierung nunmehr auch der Status der Großen kreisangehörigen Städte zunächst ausgehöhlt und damit eine Abschaffung vorbereitet wird. Die Regelungen berücksichtigen zudem nicht die oben dargestellten Grundsätze der Aufgabenverteilung.
d) Die gemeindliche Selbstverwaltung sollte auch durch die Herausstellung des Status der kommunalen Spitzenverbände gestärkt werden. Im parlamentarischen Verfahren war § 1 Abs. 5 BbgKVerf eingefügt worden. Danach hat die Landesregierung nicht nur die Verbindung zu den kommunalen Spitzenverbänden zu wahren und bei der Vorbereitung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die unmittelbar die Belange der Gemeinde berühren, mit ihnen zusammenzuwirken. Während die Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren bereits in der Landesverfassung verankert ist, gilt dies für Verwaltungsvorschriften nur einfachgesetzlich. Es hatte sich allerdings gezeigt, dass diese Norm im Bereich der Verwaltungsvorschriften von den Ressorts nur sporadisch angewendet wird.
e) Insgesamt haben die Erörterungen der Landesgeschäftsstelle mit den Mitgliedern keine Hinweise ergeben, dass die Novellierung der Kommunalverfassung tatsächlich zu einer Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden geführt hätte. Mit Blick auf die Großen und Mittleren kreisangehörigen Städte zeichnet sich vielmehr das Gegenteil ab.
4) Teilziel: Abbau von Reibungsverlusten zwischen Verwaltung und Mandatsträgern sowie Schaffung klarer Verantwortungsstrukturen
Ein zentraler Reformansatz bestand darin, die Aufgaben und Zuständigkeiten der Gemeindeorgane Hauptverwaltungsbeamter, Hauptausschuss und Gemeindevertretung klarer voneinander abzugrenzen.
a) Der Gesetzgeber reduzierte dabei die Entscheidungsrechte der Vertretungskörperschaft oder des Hauptausschusses. Das Rückgriffsrecht der Vertretung auf Aufgaben des Hauptverwaltungsbeamten findet sich nicht mehr im Gesetz. Dies betrifft zum einen den Vollzug sämtlicher Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 BbgKVerf). Diese Regelung hat sich nach allgemeiner Einschätzung sehr bewährt. An die Landesgeschäftsstelle wurden wenige Zweifelsfragen herangetragen. Diese betreffen solche Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, die einen hohen Einschlag als Selbstverwaltungsaufgabe besitzen (zum Beispiel Aufgaben des Brandschutzes).
b) Aus sehr vielen Gemeinden wurde kritisch angemerkt, dass die Stärkung des Hauptverwaltungsbeamten im Personalbereich halbherzig vorgenommen worden sei. Einerseits trage der Hauptverwaltungsbeamte die Verantwortung für die gesamte Verwaltung nach außen. Auch habe das Ziel bestanden, dieses Gemeindeorgan besonders zu stärken. Andererseits sei es ihm nicht möglich, ohne Zustimmung der Vertretung seine wichtigsten Mitarbeiter zu befördern und herausgehobene Dienstposten zu besetzen. Im Rahmen der Beratungen der Kreisarbeitsgemeinschaften und in schriftlichen Stellungnahmen wurde von Vielen die Forderung erhoben, die Besetzung von Dienstposten und andere Personalentscheidungen aus der Kompetenz der Vertretung zu streichen (§ 62 Abs. 3 BbgKVerf). Abgesehen von der Wahl der Beigeordneten auf Vorschlag des Hauptverwaltungsbeamten sollte die Vertretung einzelne Personalentscheidungen nicht treffen können. Ihr Steuerungsinstrument sei der Stellen- und der Haushaltsplan, nicht aber für einzelne Dienstposten. Dies beinhalte auch die Gefahr einer Politisierung der gemeindlichen Bediensteten. Ferner wird darauf hingewiesen, dass die meisten Personalentscheidungen dienstrechtlich determiniert sind, so dass letztlich auch kein Entscheidungsspielraum von den Gemeindevertretungen auszufüllen sei. Ferner wird darauf hingewiesen, dass es gerade in kleineren Gemeinden oftmals Vorbehalte gibt, Arbeitsverhältnisse von ebenfalls im Ort lebenden Einwohnern zu lösen, auch wenn berechtigte Gründe dies erforderten.
In diesem Zusammenhang wurde auch angeregt, § 28 Abs. 2 Nummern 1 und 5 zu streichen. Diese ermöglicht es der Vertretung, allgemeine Grundsätze zur Führung der Verwaltung festzulegen. Darin wird ein Konflikt mit dem Ziel des Gesetzes gesehen, den Hauptverwaltungsbeamten zu stärken.
c) Die rechtliche Außenvertretung der Kommunen durch den Hauptverwaltungsbeamten (§ 57 Abs. 1 BbgKVerf) wird nicht infrage gestellt. Die Doppelunterschrift von hauptamtlichen Mitarbeitern der Verwaltung hat sich nach Meinung der meisten Stellungnahmen bewährt. Zum Teil wird allerdings darauf hingewiesen, dass die frühere Regelung, die eine abstrakte Vertretungsregelung zuließ, in der Handhabung flexibler gewesen sei. Überwiegend dürfte allerdings die neue Vertretungsregelung im Bereich der hauptamtlichen Verwaltung auf Zustimmung stoßen. Aus dem Bereich des Ehrenamtes wurde hingegen vorgetragen, dass mit dem Wegfall der zweiten Unterschrift ein Verlust an Informationsmöglichkeiten und auch Aufgabenteilung verloren gegangen sei. Ein Teil der ehrenamtlichen Bürgermeister befürwortet daher die Rückkehr zum früheren Rechtszustand.
d) Von verschiedenen Gemeinden wurde darauf hingewiesen, dass die Bestellung des Hauptverwaltungsbeamten als Außenvertretungsorgan der Gemeinden durch einzelne Neuregelungen durchbrochen ist. Insbesondere bezieht sich dies auf § 28 Abs. 2 Nr. 6 BbgKVerf. Danach entscheidet die Gemeindevertretung über die Bestellung der Vertreter der Gemeinden im wirtschaftlichen Unternehmen, Vereinen und sonstigen Einrichtungen. Einzelne Kommunalaufsichtsbehörden legen diese Regelung so aus, dass die Gemeindevertretung selbst über die Mitwirkung der Gemeinde in Arbeitskreisen oder Arbeitsgemeinschaften, in denen die Verwaltungen zusammenarbeiten, zu entscheiden habe. Dies betrifft etwa die Frage, ob ein Bürgermeister seine Gemeinde in einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft vertreten dürfe. Eine solche Auslegung schwäche die Stellung des Hauptverwaltungsbeamten als Außenvertretungsorgan. Hier wird gesetzgeberischer Nachsteuerungsbedarf gesehen. Es sollte klargestellt werden, dass die Außenvertretungskompetenz des Hauptverwaltungsbeamten selbstverständlich auch die Repräsentanz der Gemeinde in Vereinen und sonstigen Einrichtungen beinhaltet. Die Vertretung sollte allerdings über die Bestellung zusätzlicher Vertreter entscheiden können.
e) In einzelnen Gemeinden sind noch immer Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gemeindeorganen feststellbar. In einzelnen Erörterungen wurde dies auch als Hauptproblem des Verhältnisses zwischen Vertretung und Hauptverwaltungsbeamten dargestellt. Es ist nicht zu erkennen, dass sich diese Konflikte mit der Einführung der neuen Kommunalverfassung vermindert hätten.
In manchen Gemeinden ist beispielsweise strittig, welche Vorgänge im Einzelfall als ein „Geschäft der laufenden Verwaltung“ gesehen werden können. Zum Teil wird von Kommunalaufsichtsbehörden empfohlen, hier Wertgrenzen in der Hauptsatzung festzulegen. Dies hat oft zu Streitigkeiten über die Höhe der Wertgrenzen geführt. Im mit dem Ministerium des Innern abgestimmten Hauptsatzungsmuster des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg wird eine solche Empfehlung nicht ausgesprochen. Dies stützt sich auch darauf, dass es sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber - anders als in § 28 Abs. 2 Nr. 17 BbgKVerf - auch davon abgesehen hat, ausdrücklich zur Festlegung einer Wertgrenze zu ermächtigen. Der Städte- und Gemeindebund empfiehlt hier eher mit verwaltungsinternen Richtlinien zu arbeiten.
f) Ein zentraler Gesichtspunkt für eine konstruktive Zusammenarbeit der Gemeindeorgane ist auch die innere Zusammensetzung der Vertretung. Eine große Zersplitterung führt regelmäßig zu zunehmenden Konflikten. Die gesetzliche Anhebung der Mindestfraktionsstärke wirkte hier sehr positiv. Vor diesem Hintergrund hatte es sich auch bewährt, die Stellung der Fraktionen zu stärken. Es ist zu untersuchen, welche rechtlichen Auswirkungen die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts zur Mindestfraktionsstärke auf die Ausgestaltung der inneren Kommunalverfassung haben wird.
g) Die Schwierigkeit der sachgerechten Abgrenzung der Aufgaben der Gemeindeorgane liegt auch darin, dass die Regelungen der Kommunalverfassung sprachlich nicht so abgefasst sind, dass sie ohne weiteres auch von jemandem, der ein gemeindliches Ehrenamt ausübt, verstanden werden könne. Dieser Adressatenhorizont sollte bei weiteren Novellierungen der Kommunalverfassung stärker Berücksichtigung finden.
h) Die Stärkung der Vollzugskompetenz des Hauptverwaltungsbeamten versuchte die Kommunalverfassung durch eine Ausweitung individueller Kontrollrechte der Mitglieder der Gemeindevertretung zu kompensieren (§ 29 BbgKVerf). So wurden früher Fraktionen vorbehaltene Auskunftsrechte mittlerweile auf alle Mitglieder der Gemeindevertretung ausgeweitet. Gründe der Anfragen können mündlich vorgetragen werden. Die Neugestaltung erfordert vielfach Erklärungen. Aus der Praxis wurde wiederholt der Vorschlag vorgetragen, die im Verfahren nach § 29 BbgKVerf zu beantwortenden Anfragen schriftlich stellen zu lassen. Im Falle einer Ablehnung müsse nämlich der Hauptverwaltungsbeamte detailliert begründen, warum die gewünschte Auskunft nicht gegeben werden dürfe. Dafür komme es oft auf die genaue Fragestellung an. Zudem erreichten die Landesgeschäftsstelle zunehmend Berichte, dass die Anfragen einen „parlamentarischen“ Charakter annehmen. Damit soll nicht die Kontrollfunktion der Gemeindevertretung in Abrede gestellt werden. Vielmehr bindet die parlamentsmäßige Bearbeitung von Fragen in manchen Gemeinden mittlerweile erhebliche Personalkapazitäten.
i) Das geänderte Beanstandungsverfahren des Hauptverwaltungsbeamten (§ 55 BbgKVerf) wird allgemein begrüßt. Dies gilt insbesondere für die Anknüpfung des Beanstandungszeitpunktes an die Vorlage der Niederschrift. Dies hat sich nach übereinstimmenden Berichten allgemein bewährt. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass es in der Praxis oftmals nicht möglich sei, die einer Entscheidung der Gemeindevertretung zu Grunde liegende Rechtsauffassung auch in der Beanstandungsverfügung zu zitieren. Es wird daher angeregt, auf die Wiedergabe der als rechtswidrig angesehenen Rechtsmeinung der Vertretung zu verzichten.
j) Mit der Neufassung des § 21 BbgKVerf und des § 25 BbgKVerf war auch die Erwartung verbunden, Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht durch Mitglieder der Vertretungskörperschaften zurückführen zu können. Dies ist nicht eingetreten. Das in § 25 Abs. 3 BbgKVerf bestimmte Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro hat kaum Drohwirkung entfaltet. Die im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Veränderungen der Anforderungen an die Haftung von Gemeindevertretern haben keine spürbaren Veränderungen entfaltet.
k) Der Schaffung klarerer Verantwortungsstrukturen diente die Ermächtigung in § 31 Abs. 3 BbgKVerf, wonach der ausgeübte Beruf sowie andere vergütete und ausgeübte Tätigkeit allgemein bekannt gemacht werden können. In vielen Gemeinden hat dies zu kontroversen Debatten geführt. Es ist auch ein verwaltungsgerichtliches Verfahren bekannt geworden.
l) Der Hauptausschuss als einziger beschließender Ausschuss wird wohl nicht infrage gestellt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass nur in wenigen Gemeinden der Hauptausschuss tatsächlich eine Vorbereitungs- und Bündelungsfunktion für die Gemeindevertretung entfalten kann. Dass eine Vorbereitung der Sitzung der Vertretung durch den Hauptausschuss zu einer spürbaren Straffung des Plenums führt, kann nur aus wenigen Gemeinden berichtet werden.
5. Teilziel: Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
a) Die neue Kommunalverfassung stellte auch darauf ab, das bürgerschaftliche Engagement zu stärken. Der Städte- und Gemeindebundes Brandenburg verfügt aktuell über keine statistischen Daten, ob seit Inkrafttreten der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg sich tatsächlich spürbar mehr Menschen für die örtliche Gemeinschaft engagieren als vorher.
Zu den einzelnen Beteiligungsinstrumenten ist folgendes anzumerken:
b) Die Kommunalverfassung hat die den Gemeinden zur Verfügung stehenden Beteiligungsinstrumente neu geordnet. Die Gemeinden wurden verpflichtet, neben Einwohnerantrag und Bürgerbegehren weitere gewünschte Formen der Einwohnerbeteiligung in ihrer Hauptsatzung oder in einer speziellen Einwohnerbeteiligungssatzung zu regeln. Es hat sich gezeigt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, von der Gemeinde als besonders wichtig angesehene Beteiligungsinstrumente auch in einer Art Selbstbindung in der Hauptsatzung oder in der Einwohnerbeteiligungssatzung zu verankern.
Darüber hinaus arbeiten alle Städte, Gemeinden und Ämtern mit ihrer Bürgerschaft zusammen. Es kam daher immer wieder zu Abgrenzungsschwierigkeiten, welche Formen der Bürgerbeteiligung einer Hauptsatzungsregelung überhaupt bedürfen. Nach dem Eindruck des Städte- und Gemeindebundes hat sich die Praxis darauf beschränkt, zentrale Instrumente im Ortsrecht zu verankern und im übrigen die Beteiligung anzuwenden, die im konkreten Einzelfall als sachgerecht angesehen wurde. Dies betrifft etwa die Durchführung von sog. Bürgerhaushalten, Stadtrundgängen oder Gesprächsrunden. Soweit ersichtlich, wurde diese Verfahrensweise auch von Kommunalaufsichtsbehörden nicht beanstandet. Es wird daher angeregt, in der Kommunalverfassung klarzustellen, dass die Gemeinde Beteiligungsinstrumente in der Hauptsatzung oder der Einwohnerbeteiligungssatzung verankern kann, darüber hinaus aber ohne Restriktion weitere Beteiligungsinstrumente anwenden kann.
c) Weiter wurde die Beiratsbildung erweitert (§ 19 BbgKVerf). Bei den Gemeinden ist dies unterschiedlich aufgenommen worden. Zum Teil arbeiten Beiräte konfliktfrei, in anderen Fällen sind deutliche Auseinandersetzungen zu verzeichnen. Insbesondere auf Initiative des Landesseniorenrates sahen sich viele Gemeinden der Erwartung ausgesetzt, einen Seniorenbeirat einsetzen zu müssen, auch wenn die Belange dieser Bevölkerungsgruppe in der Vertretung nicht unterrepräsentiert waren. Die Regelung des Gesetzes hat in vielen Gemeinden zu Konflikten geführt. Verbände, die bestimmte Beiräte initiieren wollten, hatten über den gesetzlichen Rahmen hinausgehende Vorstellungen. Insbesondere bestand oft keine Bereitschaft, sich auf die Beratung in der Gemeindevertretung zu beschränken. Vielmehr wurden ein allgemeinpolitisches Mandat und ein Mitberatungsrecht in den Ausschüssen der Vertretung angestrebt. Es ist auch feststellbar, dass hier von der Landesregierung keine einheitliche Position vertreten wird. Aus Sicht der Gemeindevertretungen sollte weiter daraufhin gewirkt werden, die Grenzen zwischen den Mitgliedern der Vertretung und sonstigen Personen der Gemeinde nicht verschwimmen zu lassen. Andernfalls wird es für die Bevölkerung noch schwieriger, Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und politisch zuzuordnen. Nicht akzeptiert wurde vielfach auch das – auch auf Landesebene z. B. bei der Wahl von Verfassungsrichtern eingeführte - Recht der Fraktionen, einzelne Beiratsmitglieder vorzuschlagen. Damit wurde in einzelnen Gemeinden eine parteipolitische Bindung von Beiräten in Zusammenhang gebracht.
d) Die Ausweitung der so genannten Ortsteilverfassung (§§ 45 ff. BbgKVerf) wird in den Gemeinden sehr unterschiedlich gesehen. Zum einen werden aktive Ortsbeiräte in vielen Gemeinden begrüßt. Die Gemeindeverwaltung hat nicht die Möglichkeit, in allen Ortsteilen ständig präsent zu sein. Zum anderen wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass die Bildung von Ortsteilen der Bildung eines Gemeindebewusstseins entgegenwirkt. Vielfach wird berichtet, dass sich in großflächigen Gemeinden die Einwohner noch nicht als Teil einer örtlichen Gemeinschaft fühlen. Sie blieben vielmehr in ihren Dörfern verwurzelt. Im Ergebnis stellt dies auch Fragen an die kommunale Selbstverwaltung. Die gemeindliche Selbstverwaltung beruht nämlich darauf, dass die örtliche Gemeinschaft sich auch selbst verwalten möchte. Hier dürfte auch ein Zusammenhang zwischen dem Gemeinschaftsbewusstsein und dem Territorium einer solchen Gemeinde bestehen.
Zum Teil wird die Erwartung vorgetragen, die Ortsteilverfassung weiter zu reduzieren, zum Teil wird die Erwartung zum Ausdruck gebracht, im Zusammenhang mit dem wachsenden Gemeinschaftsbewusstseins, die Ortsteilorgane zu reduzieren. Vielfach wird allerdings auch berichtet, dass es zunehmend Schwierigkeiten macht, Mitglieder der Ortsbeiräte zu besetzen. Dies wird insbesondere darauf zurückgeführt, dass die Ortsteile nur eine beratende und keine entscheidende Funktion im Regelfall besitzen. Die praktische Verwaltung der Ortsteile erfolgt sehr unterschiedlich in den Gemeinden. Zum Teil wird die Möglichkeit genutzt, die Mitglieder der Ortsbeiräte auf eigene Protokollführung zu verweisen. In anderen Gemeinden, in denen Ortsbeiräte auch Entscheidungsrechte besitzen, wird eine Protokollierung durch die hauptamtliche Verwaltung als erforderlich angesehen. Insgesamt muss die Entwicklung der Ortsteilverfassung weiter verfolgt werden.
e) An dieser Stelle ist die Frage der Aufwandsentschädigung anzusprechen. Die Aufhebung von landeseinheitlichen Höchstgrenzen, die keine weitere Rechtfertigung der Festsetzung verlangten, wird im Ehrenamt und von vielen Verwaltungen bedauert. Die Bereitschaft zu Übernahme des Ehrenamtes werde durch Rechtfertigungserfordernisse erheblich beeinträchtigt. Hier sollten mit dem Ministerium des Innern Gespräche fortgeführt werden.
Insgesamt besteht der Eindruck, dass die Novelle der Kommunalverfassung nicht nachweislich zu einer Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements geführt hat.
6. Teilziel: Erhöhung der Verwaltungseffizienz durch Abbau von Normen und Standards
a) Eine Reihe von Normen, die mit der Novelle klargestellt worden sind, haben sich erwartungsgemäß bewährt. Dies betrifft etwa die geborene Mitgliedschaft des Hauptverwaltungsbeamten im Hauptausschuss, der Verzicht auf einer Einberufungsfrist der Gemeindevertretung oder den Beginn der Beanstandungspflicht ab dem Zeitpunkt, zu dem das Protokoll dem Hauptverwaltungsbeamten vorliegt.
b) Auch die erweiterte Heilungsmöglichkeit der Bekanntmachungsfehler (§ 3 Abs. 4 BbgKVerf) dürfte sich bewährt haben. Soweit ersichtlich, liegt allerdings wenig Judikatur vor. Aus einzelnen Landkreisen wird berichtet, dass sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit mittlerweile weniger intensiv mit Fragen der Bekanntmachung auseinandersetzt, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war.
c) Mit Blick auf die mittlerweile eingeführte elektronische Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen des Landes Brandenburg sollte geprüft werden, auch auf gemeindlicher Ebene elektronischen Bekanntmachungen von Ortsrecht oder Einladungen zu Sitzungen als Alternative zu den bislang eingeführten Bekanntmachungsformen anzubieten.
d) Die Neuregelung der Vorschriften über die Kommunalaufsicht haben nicht spürbar zu einer Verkürzung der Bearbeitungszeiten beigetragen. Als ein Mangel erweist sich auch das Fehlen einer Regelung für die Fälle, in denen die Kommunalaufsicht über Fälle zu entscheiden hat, in denen der Landkreis als Gebietskörperschaft beteiligt ist. Hier entsteht leicht der Eindruck, dass den Belangen der zu beratenden Gemeinde eine Ungleichgewichtung entgegen steht. Insgesamt wird allerdings überwiegend von einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den Kommunalaufsichtsbehörden berichtet.
e) Die unterschiedlichen Schwellenwerte etwa für die Bestellung von Gleichstellungsbeauftragten oder von Beigeordneten werden in der Mitgliedschaft nicht als problematisch angesehen.
f) Insgesamt muss aber festgehalten werden, dass der Verwaltungsaufwand der inneren Kommunalverfassung nach der Novelle sich nicht spürbar verringert hat. Hinzuweisen ist ferner darauf, dass die Schaffung eines Beteiligungsmanagements zu mehr Personalbedarf geführt hat, der bis heute nicht vom Land, trotz des strikten Konnexitätsprinzips, ersetzt wurde.
g) Im Rahmen der Erörterung der Amtsverfassung wird in letzter Zeit von vielen Ämtern angeregt, die Mitgliederzahl amtsangehöriger Gemeinden wieder anzuheben. Damit würden freiwillige Zusammenschlüsse einwohnerschwacher Ämter erleichtert. Gegenüber der Bildung von Einheitsgemeinden haben die Ämter den Vorteil, dass sich für kleinere Gebiete jeweils Gemeindevertretungen verantwortlich fühlen.
Diese Darstellung ist bewusst knapp gehalten. Bei Bedarf sind wir gerne bereit, die Ausführungen zu vertiefen oder zu ergänzen. Als Ansprechpartner steht in der Landesgeschäftsstelle Herr Referatsleiter Graf zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Böttcher“
Jens Graf, Referatsleiter
Az: 013-03