Mitteilungen 10-11/2011, Seite 330, Nr. 192
Behindertenpolitisches Maßnahmepaket der Landesregierung
Im Zuge der Umsetzung des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 1419) erarbeitet die Landesregierung Brandenburg ein Behindertenpolitisches Maßnahmepaket für das Land Brandenburg. Das Behindertenpolitische Maßnahmepakt soll an dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, am 3. Dezember 2011, der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Die Vereinten Nationen haben 1992 den 3. Dezember zum alljährlichen Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen ausgerufen. Dieser Tag wird weltweit für Aktionen genutzt, um die volle Teilnahme und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zu erreichen.
Das Behindertenpolitische Maßnahmepaket der Landesregierung steht neben dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Dieser NAP ist am 15. Juni 2011 durch das Bundeskabinett verabschiedet worden (siehe Mitt. StGB Bbg. 07/2011, S. 214 und www.bmas.de). Als staatliche Anlaufstelle übernimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Verantwortung für die Umsetzung der ressortübergreifenden Maßnahmen, wie die Information und Repräsentation, Evaluation und Fortschreibung, Neukonzeption des Behindertenberichts und die Betreuung des Ausschusses für den Nationalen Aktionsplan. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen übernimmt als staatlicher Koordinierungsmechanismus (Art. 33 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen) die Aufgabe, die Zivilgesellschaft und die Menschen mit Behinderungen einzubinden und eine Schnittstellenfunktion zu bilden (www.behindertenbeauftragter.de). Die verschiedenen Bundesministerien bilden ebenfalls Anlaufstellen, so dass insgesamt das Prinzip des „Disability Mainstreaming“ Beachtung findet. Im Übrigen will der Bund in Umsetzung des Aktionsplans den Erfahrungsaustausch mit den Ländern, die eigene Aktionspläne aufstellen oder aufgestellt haben, pflegen.
Das Behindertenpolitische Maßnahmepaket der Landesregierung steht im Übrigen neben kommunalen Teilhabeplänen. Die Städte, Gemeinden und Ämter in Brandenburg sind frei darin, selbst Pläne zu entwickeln, mit denen sie sich für die Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in ihrem Gebiet einsetzen wollen.
I. Die Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg hat im September 2011 den Entwurf des Behindertenpolitischen Maßnahmepaketes mit der Bitte um Stellungnahme erhalten. Um die vorgegebene Frist einzuhalten, hat die Geschäftsstelle unter dem 19. September 2011 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben, die unter II. abgedruckt ist.
Das Behindertenpoltische Maßnahmepaket - in der Fassung, die der Geschäftsstelle vorlag - gliedert sich wie folgt:
I. Einleitung
II. Visionen, Ziele und Grundsätze des behindertenpolitischen
Maßnahmepaketes
III. Umsetzungsstrukturen – Koordinierung und Anlaufstelle,
Einbeziehung weiterer Akteure
IV. Handlungsfelder des behindertenpolitischen Maßnahmepaketes
1 Handlungsfeld „Erziehung und Bildung“
1.1 Erziehung und Bildung im Vorschulalter
1.2 Erziehung und Bildung in der Schule
1.3 Studium und Ausbildung an Hochschulen
2 Handlungsfeld „Teilhabe am Arbeitsleben“
3 Handlungsfeld „Inklusiver Sozialraum“
4 Handlungsfeld „Barrierefreiheit: Mobilität, Kommunikation,
Information“
5 Handlungsfeld „Gesundheit und Pflege“
6 Handlungsfeld „Kultur, Freizeit, Sport“
7 Handlungsfeld „Selbstbestimmtes Leben, Freiheits- und
Schutzrechte“
8 Handlungsfeld „Bewusstseinsbildung, Partizipation und
Interessenvertretung“.
Das Maßnahmepaket sieht über 80 Seiten zahlreiche Maßnahmen vor, die der Sensibilisierung der Bevölkerung und der Gesellschaft für die Belange von Menschen mit Behinderung dienen, mit denen sich Ressorts der Landesregierung bei Dritten dafür einsetzen wollen, dass diese Belange von Menschen mit Behinderungen besser berücksichtigen oder Maßnahmen, deren Durchführung in die Zuständigkeit von Städten, Gemeinden, Ämtern oder Landkreisen fiele.
Die Maßnahmen werden beschrieben. In der Rubrik Zuständigkeit werden zumeist Ressorts der Landesregierung genannt, auch wenn nach dem Gesetz die Kommunen zuständig sind; in der Rubrik Finanzierung heißt es regelmäßig, „im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“, „keine zusätzlichen Kosten“, „EU-Mittel“, „Mittel der Kommunen“.
Die Tatsache, dass nicht immer die zuständige Behörde genannt wird, sondern das jeweilige Ressort, kann zur Irreführung bei den Lesern führen. Das Land macht Versprechungen, die durch die Kommunen erfüllt werden sollen.
Die Landesregierung strebt bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention „einen möglichst breiten politischen Konsens aller Fraktionen im brandenburgischen Landtag einerseits und den politisch Verantwortlichen in den Landkreisen und kreisfreien Städten andererseits an“. Ein politischer Konsens mit den Städten, Gemeinden und Ämtern wird nicht genannt. Vielmehr heißt es, „Aber auch andere Akteure, beispielsweise Kommunen, Gewerkschaften, Arbeitgeber … sind dringend dazu aufgerufen, eigene Anstrengungen für den Aufbau eines inklusiven Gemeinwesens zu unternehmen.“ Die Geschäftsstelle hat auf die Bedeutung von Städten und Gemeinden im Staatsaufbau, auf die Kommunalwahlen und auf die mangelnde Regelungskompetenz der Landkreise gegenüber den kreisangehörigen Städten und Gemeinden hingewiesen und es abgelehnt, dass die Mitglieder des Verbandes als „Akteur“ bezeichnet werden.
Neben dem Themenfeld Bildung und Erziehung, auf das die Geschäftsstelle entsprechend den hierzu bereits erfolgten Diskussionen des Präsidiums eingegangen ist, ist die vollständige Barrierefreiheit zu nennen, die von den Kommunen erwartet wird. Hierunter ist nicht nur eine rollstuhlgerechte Umwelt zu verstehen, sondern es wird auch Barrierefreiheit beispielsweise für blinde oder sehbehinderte oder taube oder hörgeschädigte Menschen erwartet. Bei Gebäuden bedeutet dies beispielsweise, dass ein Fahrstuhl vorhanden ist, der ausreichend groß ist und von Rollstuhlfahrern benutzt werden kann, dass der Fahrstuhl eine Textansage hat und durch Schrift oder Zeichen das jeweilige Stockwerk angibt.
Hinsichtlich der Kommunikation wird bei Bedarf der Einsatz von Gebärdendolmetschern durch die Verwaltung oder das Abfassen von Bescheiden in Braille-Schrift verlangt. Internetauftritte müssen barrierefrei gestaltet werden.
In der Städtebauförderung und auch bei sonstiger Förderung durch das Land soll diese nur noch dann erfolgen, wenn Barrierefreiheit des Bauvorhabens gegeben ist.
Das Brandenburgische Straßengesetz soll evaluiert werden. Hierbei geht die Geschäftsstelle davon aus, dass beabsichtigt ist, in Brandenburg die Straßen auf ihre Barrierefreiheit hin zu untersuchen.
Sportstätten und Kultureinrichtungen sollen barrierefrei werden. Auch bei einer diesbezüglichen Projektförderung durch das Land wird auf Barrierefreiheit geachtet.
Mit dem Entwurf des Behindertenpolitischen Maßnahmepaketes hat sich das Präsidium des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg in seiner Sitzung vom 29. September 2011 befasst (siehe Bericht in dieser Ausgabe der mitteilungen).
Das Präsidium hat folgenden Beschluss gefasst:
„Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg unterstützt die Zielsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Städte, Gemeinden und Ämter werden an der Umsetzung der Konvention im Rahmen ihrer Möglichkeiten konstruktiv mitwirken.
Das Präsidium stimmt der Stellungnahme der Geschäftsstelle vom 19. September 2011 zu dem Entwurf des Behindertenpolitischen Maßnahmepaketes für das Land Brandenburg zu.
Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg fordert, dass die Landesregierung Brandenburg einen konkreten Ausbau- und Finanzierungsplan zur Umsetzung ihrer im Behindertenpolitischen Maßnahmepaket enthaltenen Vorgaben vorlegt.
Das Präsidium fordert den Landtag Brandenburg auf, durch Änderung von Gesetzen beziehungsweise dem Erlaß von Gesetzen das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 1419) in Landesrecht zu transformieren. Nur hierdurch kann gesichert werden, dass das Land Brandenburg in allen Teilen des Landes für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen Sorge trägt. Es sollte verhindert werden, dass die Inklusion in allen Lebensbereichen von der Fördermittelpolitik der Ressorts abhängig ist.
Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hat großes Verständnis für die Anliegen der Menschen mit Behinderungen, ihrer Verbände und der Behindertenbeauftragten, die in einem Gesetz zur Stärkung ihrer Interessen formuliert werden sollen. Gleichwohl kann diesen Anliegen aus Gründen der Demokratie und zum Schutz des Rechtsstaates nicht gefolgt werden.
Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen im Land Brandenburg wird wegen verschiedener Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltungshoheit abgelehnt. Die Einführung einer neuartigen Kontrollinstanz im Bereich der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, die mit den aufsichtsrechtlichen Regeln des Kommunalrechts nichts gemein hat, wird nicht geduldet.
Das Präsidium stellt fest, dass der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen im Land Brandenburg im Übrigen gegen das strikte Konnexitätsprinzip verstößt.“
II. Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg vom 19. September 2011 gegenüber dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie:
„Sehr geehrter Herr Künzel,
haben Sie vielen Dank für die Übersendung des „Behindertenpolitischen Maßnahmepaketes für das Land Brandenburg“. Sie räumen uns vierzehn Arbeitstage ein, um das dreiundachtzigseitige Papier zu lesen und hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Dieser Zeitraum ist zu kurz und wird dem Anliegen der Menschen mit Behinderungen, bessere Möglichkeiten der Chancengleichheit zu erhalten, nicht gerecht.
Das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 1419) wurde vor nunmehr fast drei Jahren durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet. Seitdem warten unsere Mitglieder darauf, dass das Land Brandenburg Schritte einleitet, um das Gesetz umzusetzen.
Angesichts der hohen Bedeutung, die der Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zukommt, erwarten wir, dass wir ausreichend Zeit haben, um uns zu den Absichten und Planungen der Landesregierung eine Meinung zu bilden. Dies ist bei einer Frist von vierzehn Tagen zur Stellungnahme nicht gegeben.
Unsere nachfolgende Stellungnahme ergeht deshalb vorbehaltlich einer Positionierung unseres Präsidiums und geht wegen der Kürze der Zeit nur auf unsere wesentlichen Gedanken, Hinweise und Anmerkungen ein.
A.
Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg begrüßt die Ziele der UN-Konvention, Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe einschließlich ihres Rechts auf Bildung ohne Diskriminierung und damit Chancengleichheit zu sichern. Städte, Gemeinden und Ämtern in Brandenburg sind bereit, an der Umsetzung des Übereinkommens, dem der Bund und die Länder zugestimmt haben, konstruktiv mitzuwirken.
Eine verfassungsgemäße Umsetzung des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen kann jedoch nur dann gelingen, wenn der Landtag Brandenburg entsprechende Gesetze zur Umsetzung des Bundesgesetzes erlässt. Umsetzung der Ziele von Inklusion bedeutet, dass behinderte Menschen unmittelbar in dem jeweiligen Lebensbereich die Unterstützung erhalten, die sie für eine gleichberechtigte Teilhabe benötigen. Dies lässt sich nur durch Gesetzesänderungen beziehungsweise den Erlass neuer Gesetze erreichen.
Das behindertenpolitische Maßnahmepaket sieht als einzige Änderung von Gesetzen eine Änderung des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen im Land Brandenburg und eine Änderung der Bauordnung vor. Die Inaussichtstellung einer Änderung des Schulgesetzes in der nächsten Legislaturperiode zählt unserer Auffassung nach nicht.
Damit gefährdet die Landesregierung die Inklusion in Brandenburg.
Beispielsweise erfordert Inklusion im Bildungsbereich ein pädagogisches Gesamtkonzept der selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe, welches im Schulgesetz zu verankern ist. Das Gelingen einer solchen Inklusion ist auch finanziell sicherzustellen. Um gemeinsame Bildung für behinderte und nicht behinderte Menschen erfolgreich zu praktizieren, sind beispielsweise zusätzlich Integrationshelfer, Therapeuten und Sozialpädagogen, aber auch eine intensive Fortbildung der Lehrer an den allgemeinbildenden Schulen unersetzlich. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, sonst gerät die Inklusion zum Lippenbekenntnis.
a) Das Land ist im Bundesrat eine Verpflichtung eingegangen und muss dieser nun auch nachkommen. Das heißt, es muss für die Folgekosten aufkommen. Die zusätzlichen Aufwendungen im Bereich der Schulträger, wie zum Beispiel die barrierefreie Gestaltung von Schulgebäuden, die Ausstattung mit geeigneten Lernmitteln und die Gewährleistung entsprechender Schülerbeförderung, sind nach der Landesverfassung konnexitätsrelevant. Gleiches gilt für Kindertagesstätten, Kultureinrichtungen oder Sportstätten, die von Städten, Gemeinden oder Ämtern getragen werden.
Wenn das Konnexitätsprinzip als Schutzmechanismus für die Kommunen durch das behindertenpolitische Maßnahmepaket beziehungsweise das Ausbleiben von Gesetzen ausgehebelt wird, ist auch eine gelingende Inklusion der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen in Gefahr. Wer Inklusion will, der muss auch Geld in die Hand nehmen.
b) Inklusive Lebensbereiche müssen so ausgestaltet sein, dass auch Menschen mit Behinderungen ihn nutzen können. Diese Nutzung darf jedoch nicht lediglich auf Kosten der Sozialhilfe, insbesondere der Eingliederungshilfe, ermöglicht werden. Die Finanzierung der notwendigen Unterstützungsmaßnahmen muss vielmehr in der Verantwortung des für die eigentliche Leistung zuständigen Trägers liegen.
Das heißt, Eingliederungshilfe nach SGB XII und SGB VIII müssen zukünftig in den Hintergrund rücken, vielmehr sind alle Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die behinderten Menschen nicht mehr auf Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendhilfe angewiesen sind.
Dies bedeutet, dass der jeweilige Verantwortungsträger, die jeweils zuständige Behörde oder die jeweilige natürliche oder juristische Person des bürgerlichen Rechts im eigenen Zuständigkeitsbereich die notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen schaffen muss. Im Verhältnis zwischen Land und Kommunen heißt dies, dass zunächst das Land in seinem Zuständigkeitsbereich verantwortlich ist. Also beispielsweise im Bereich der Bildung und der Wissenschaft.
Dem kommt das Land mit diesem Maßnahmepaket aber nicht nach. Vielmehr enthält das behindertenpolitische Maßnahmepaket Absichten und Planungen, die inzidenter davon ausgehen, dass weiterhin die Kommunen als örtliche Träger der Sozialhilfe und Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Voraussetzungen schaffen. Dies zeigen die Handlungsfelder „Erziehung und Bildung“, „Erziehung und Bildung in der Schule“ und „Studium und Ausbildung an Hochschulen“ evident auf. Eltern, Kinder, Schüler und Studierende mit Behinderungen werden weiterhin an die Sozialhilfe verwiesen.
Dies wird dem Gedanken der Inklusion nicht gerecht.
c) Wie der Titel des Papiers „Behindertenpolitisches Maßnahmepaket für das Land Brandenburg“ aussagt, werden in dem Maßnahmepaket nur zum Teil Maßnahmen des Landes beschrieben. Zwar werden bei den Maßnahmen die verschiedenen Ressorts der Landesregierung genannt. Es bleibt aber regelmäßig im Unklaren, welche Behörde tatsächlich zuständig ist und Einfluß nehmen kann auf das beschriebene Ziel oder welche Behörde allein zuständig ist, die Maßnahme umzusetzen.
Schätzungsweise mehr als die Hälfte der aufgeführten Maßnahmen liegen nicht in der Zuständigkeit des Landes. Zum weit überwiegenden Teil liegt die Zuständigkeit bei den Kommunen, ohne dass dies in dem Maßnahmepaket festgehalten wird. Das heißt, dass Land formuliert Versprechungen, für deren Erfüllung andere Behörden beziehungsweise die Kommunen zuständig sind.
d) Das Maßnahmepaket ist nicht ausfinanziert.
Eine Bezifferung des Gesamtvolumens des Maßnahmepaketes wird nicht vorgenommen.
Im Text heißt es bei den einzelnen Maßnahmen regelmäßig „keine zusätzlichen Kosten“, „keine zusätzlichen Mittel“, „im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“.
Soweit tatsächlich einmal finanzielle Bezüge ausformuliert werden, sind sie irreführend. Wenn es beispielsweise heißt „Kostenerstattung AG-SGB XII“, kann dies nur als Anhaltspunkt dafür dienen, in welchem Bereich dem Land Ausgaben entstehen. Dass die Entwicklung und Etablierung von Modellprojekten sowohl auf Seiten des Landes als auch bei den - zuständigen - Trägern der Sozialhilfe zusätzliche Verwaltungsausgaben verursacht, dürfte den Ressorts Soziales und Finanzen unmittelbar einleuchten. „Ohne zusätzliche Kosten“ lässt sich nur dann etwas finanzieren, wenn andere Aufgaben dafür fortfallen, im Unterrichtsstoff für Erzieherinnen beispielsweise etwas weggelassen wird.
Aussagen wie „verstärkte Zusammenarbeit“, „Sensibilisierung von“, „Berücksichtigung von“ oder „Verstärkung“ mögen als Beschreibung der Maßnahme dienen. Auch solche Maßnahmen sind aber nicht kostenlos zu haben. Das Land muss sich entscheiden, welche Aufgaben es statt dessen nicht mehr erledigen möchte. Anders ist uns nicht verständlich, wie das Land seine Sparziele erreichen will, wenn es gleichzeitig immer mehr oder neue Aufgaben wahrnehmen will.
Soweit tatsächlich Summen unter der Rubrik Finanzierung genannt werden, sind auch diese nicht immer richtig ermittelt. Beispielhaft sei auf den Wettbewerb Familienfreundliche Kommune hingewiesen (Maßnahme 3.8). Dort heißt es, es seien 76.700,- Euro notwendig. Dies stellt jedoch allein das Preisgeld für den Wettbewerb dar. Die Verwaltungskosten (Personal- und Sachkosten), die im Ministerium und bei den Mitgliedern der Jury entstehen, werden nicht kalkuliert. Alle zwei Jahre erhält der Wettbewerb einen neuen Schwerpunkt, ohne dass andere Themen herausgenommen werden. Gleichzeitig wächst die Jury zahlenmäßig an, damit das für den neuen Schwerpunkt zuständige Referat sich in die Jury einbringen kann, was weitere Personalkosten beim Land nach sich zieht.
Die Änderung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes wird nicht ausfinanziert. Bei dieser Maßnahme, 8.5, heißt es: „im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“. Die Tatsache, dass mit der Gesetzesänderung neue Aufgaben und Pflichten für die Kommunen formuliert werden, wird außen vorgelassen. Weder die daraus resultierende Zuständigkeit der Städte, Gemeinden und Ämter wird im Maßnahmepaket benannt, noch wird eine Hochrechnung vorgenommen, welche Ausgaben auf Grund des strikten Konnexitätsprinzips auf die Kommunen zukommen. Im „Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“ ist dieses Ziel nicht zu erreichen.
Auch hier verhindert das Land, dass Inklusion in Brandenburg möglich wird.
B.
I. Einleitung
Es wird positiv dargestellt, welcher Stand im Bereich der Behindertenpolitik in den letzten zwanzig Jahren erreicht wurde. Neben der Herausstellung der Aufbauleistungen des Landes heißt es, ohne Selbsthilfeorganisationen der Menschen mit Behinderungen und der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sei der Aufbauprozess nicht leistbar gewesen. Wir legen Wert darauf, dass die diesbezüglichen Leistungen der Städte, Gemeinden und Ämter ebenso gewürdigt werden. Denn ohne die vielfältige Bereitschaft von Stadtverordnetenversammlungen, Gemeindevertretungen und Amtsausschüssen, Benachteiligungen behinderter Menschen zu beseitigen oder zu vermeiden, gäbe es weder die ambulanten Angebote für behinderte Menschen, noch die zahlreichen barrierefreien, öffentlich zugänglichen kommunalen Bauten, noch das notwendige Personal für integrative Kindertagesstätten oder die zahlreichen Integrationshelfer für den Schulbesuch Einzelner.
II. Visionen, Ziele und Grundsätze des behindertenpolitischen Maßnahmepaketes
In diesem Abschnitt werden die Bedeutung von Inklusion und der Wert der Menschen mit Behinderungen für die Gesellschaft und das Gemeinwesen zu Recht herausgestellt. Es wird ausgeführt, dass bei der Erarbeitung des Maßnahmepaketes Menschen mit Behinderungen, deren Verbände und der Landesbehindertenbeirat von Anfang an beteiligt wurden. Dies entspricht dem Grundsatz „Nicht über uns, ohne uns.“ Dies ist nicht zu beanstanden.
Der Abschnitt ist für uns dennoch Anlass darauf hinzuweisen, dass in Deutschland der Minderheitenschutz oder der Schutz besonderer Gruppen einen hohen Rang inne hat und er das Wesen einer freiheitlichen und lebenswerten Demokratie ausmacht. Minderheiten oder besondere Gruppen der Bevölkerung sollen sich frei entfalten können und mit all ihren Rechten geschützt werden. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Minderheiten an Stelle von Mehrheiten entscheiden. Dies bedeutet für die Demokratie, dass sie nicht nur die Stimmen derjenigen, die laut und medienwirksam protestieren, sondern auch die Stimmen derjenigen, die sich nicht artikulieren, wahrzunehmen hat.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt.
Die Rechte (und Pflichten) von Menschen mit Behinderungen bestimmen sich nach Maßgabe der Gesetze und befinden sich in Wechselwirkung mit den Grundrechten anderer.
Wir halten es für notwendig, auf den Gesamtzusammenhang des demokratischen Rechtsstaats hinzuweisen, damit Enttäuschungen und politische Verdrossenheit vermieden werden.
Mit den verschiedenen Maßnahmepaketen, die die Landesregierung in den zurückliegenden Monaten verabschiedet hat und auch mit dem behindertenpolitischen Maßnahmepaket wird suggeriert, der Einzelne beziehungsweise die Minderheit oder Sondergruppe der Bevölkerung erhalte eine bevorzugte Behandlung. Dies sehen wir aus obigen Gründen kritisch. Wir halten es für fehlgehend, wenn das Individualwohl das Gemeinwohl bestimmen soll.
III. Umsetzungsstrukturen – Koordinierung und Anlaufstelle, Einbeziehung weiterer Akteure
„Die Landesregierung strebt bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einen möglichst breiten politischen Konsens aller Fraktionen im brandenburgischen Landtag einerseits und der politisch Verantwortlichen in den Landkreisen und kreisfreien Städten andererseits an. Zudem soll der Gedanke der Inklusion auch in die Zivilgesellschaft getragen werden…. Aber auch andere Akteure, beispielsweise Kommunen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kirchen, Vereine oder Parteien sind dringend aufgerufen, eigene Anstrengungen für den Ausbau eines inklusiven Gemeinwesens zu unternehmen.“
Diese Ausführungen zeigen, dass es dem federführenden Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie an dem Verständnis für den Staatsaufbau in der Bundesrepublik Deutschland, an dem Verständnis für Städte und Gemeinde als kleinste demokratische Einheit der Bundesrepublik, die durch das Grundgesetz geschützt ist und in der Wahlen stattfinden, mangelt. Städte, Gemeinden und Ämter in Brandenburg sind keine Akteure, sondern öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften, sie sind Grundlage und Teil des demokratischen Gemeinwesens. Kreisangehörige Städte und Gemeinden bilden ihren jeweiligen Landkreis. Sie sind mit Arbeitgeberverbänden, Kirchen oder Vereinen nicht zu vergleichen und auch nicht auf eine Stufe zu stellen. Der Begriff „Akteur“ wird der Bedeutung der Städte und Gemeinden nicht gerecht und wir lehnen die Verwendung des Begriffes für unsere Mitglieder ab.
Landkreise haben in Bezug auf die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden wenig Kompetenzen. Ihnen kommt allein die Rechtsaufsicht als untere Kommunalaufsichtsbehörde zu. Tatsächlich enthält das Maßnahmepaket aber zahlreiche Aufgaben, die in die Zuständigkeit der Städte, Gemeinden und Ämter fallen. Diesbezüglich entscheiden also Städte, Gemeinden und Ämter selbst.
Insofern lehnen wir es ab, wenn die Landesregierung meint, sie müsse nur den politischen Konsens mit den kreisfreien Städten und den Landkreisen herstellen, um Umsetzungsstrukturen zu schaffen. Das wird nicht funktionieren.
Soweit der Landesbehindertenbeauftragte Anlaufstelle im Sinne von Artikel 33 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sein soll beziehungsweise durch neu zu schaffende Gremien, welche ebenfalls Kosten verursachen, eine koordinierende Funktion wahrnehmen soll, dürfen wir bereits jetzt darauf hinweisen, dass wir Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung nicht dulden werden.
Die Novellierung des brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes in der beabsichtigten Form lehnen wir wegen Eingriffs in die kommunale Selbstverwaltung ab. Sie wollen den Anwendungsbereich auf die Kommunen ausdehnen. Dies wäre nur dann möglich, wenn das Land Brandenburg die hierdurch entstehenden Ausgaben und Folgekosten prognostizieren und einen entsprechenden Kostenausgleich in das Gesetz einstellen würde. Darüber hinaus ist das Gesetz aber auch wegen zahlreicher neuer Regelungen abzulehnen. Weder werden wir beispielsweise ein Akteneinsichtsrecht des Landesbehindertenbeauftragten noch ein Verbandsklagerecht hinnehmen.
IV. Handlungsfelder des behindertenpolitischen Maßnahmepaketes
IV.1. Handlungsfeld „Erziehung und Bildung“
Der Entwurf ist hinsichtlich der Umsetzung des Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention unzureichend. Das Papier beschränkt sich auf die Aneinanderreihung von allgemeinen Zielvorstellungen und Einzelmaßnahmen, die unvollständig und unpräzise bleiben. Ein konzeptioneller Rahmen ist ebenso wenig erkennbar wie die Anerkennung der Gesamtverantwortung der Landesregierung. Zum personellen, baulichen, pädagogischen und sächlichen Anforderungsprofil inklusiver Bildungseinrichtungen schweigt sich das Papier aus. Ein solches Anforderungsprofil müsste jedoch Ausgangspunkt für alle Überlegungen sein. Die mangelhaften Ausführungen des Entwurfs negieren die Erkenntnisse der Regionalkonferenzen und die berechtigten Forderungen von Schülern, Eltern, Lehrern, Schulträgern, Trägern der Sozialhilfe oder der Jugendhilfeträger.
IV. 1.1 Erziehung und Bildung im Vorschulalter
Soweit unter diesem Handlungsfeld auf die Frühförderung eingegangen wird, wird dies der Rechtslage nicht gerecht. Die unter Ziffer 1.1 a) genannte Komplexleistung ist Teil der Eingliederungshilfe, Sechstes Kapitel SGB XII, beziehungsweise Teil der gesetzlichen Krankenversicherung und hat mit dem Bereich Erziehung und Bildung, Drittes Kapitel dritter Abschnitt SGB XII, oder mit dem Thema Erziehung und Bildung im Vorschulalter wenig gemein. Auch differenziert das Land unrichtigerweise nach wie vor nicht zwischen Frühförderung und Komplexleistung. Die Vermischung der Frühförderung mit den Aufgaben von Kindertagesstätten zeigt, dass das Land Brandenburg nicht ernsthaft den Gedanken der Inklusion verfolgt, sondern weiterhin an dem System der Integration festhält, die über die Sozialhilfe finanziert wird.
Leistungen der Frühförderung werden sowohl im Bereich der medizinischen Rehabilitation durch die Krankenkassen als auch im Bereich der heilpädagogischen Maßnahmen im Rahmen der Eingliederungshilfe durch die örtlichen Träger der Sozialhilfe erbracht. Um die Leistungsbereiche voneinander abzugrenzen wurde gemäß § 30 Abs. 3 SGB IX durch den Bund die Frühförderungsverordnung erlassen. Zur Umsetzung der Frühförderungsverordnung haben die Verbände der Krankenkassen, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg, der Landkreistag Brandenburg und die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege eine Rahmenvereinbarung abschlossen, die Mitte 2007 in Kraft getreten ist. Eine Komplexleistung liegt nach der Frühförderungsverordnung des Bundes nur dann vor, wenn zur Förderung des Kindes sowohl medizinische Leistungen als auch heilpädagogische Leistungen erforderlich sind. Insoweit ist die Maßnahme „Sicherstellung der Frühförderung als Komplexleistung“ fehlgehend und Ihre Darstellung der Rechtslage unrichtig.
Im Übrigen kommen die örtlichen Träger der Sozialhilfe ihren gesetzlichen Aufgaben nach und bewilligen Frühförderung beziehungsweise leisten Maßnahmen der Frühförderung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Kinder in Brandenburg nicht die notwendigen Leistungen erhielten.
Wir weisen darauf hin, dass es sich hierbei um Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung handelt, so dass für uns sehr fragwürdig ist, aus welchem Grunde und wie das Bildungsministerium, das Sozialministerium und das Gesundheitsministerium Netzwerke auf kommunaler Ebene ausbauen, Beratung und Unterstützung leisten und die Komplexleistung sicherstellen wollen. Wir sehen in den Maßnahmen einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung.
Bei diesen Maßnahmen handelt es sich nicht um ministerielle Aufgaben, deren Wahrnehmung aber bei den Ressorts Kosten verursachen.
Die unter Ziffer 1.1 c) für den vorschulischen Bereich aufgeführten Maßnahmen beinhalten keine Änderung des Kindertagesstättengesetzes. Diese ist aber erforderlich, wenn das Land es mit einer inklusiven Gesellschaft ernst meint. Insoweit verweisen wir auf unsere obigen Ausführungen.
Das bedeutet, das mindestens der Verweis des Kindertagesstättengesetzes auf das SGB XII entfernt werden muss, dass Vereinbarungen nach §§ 75 ff. GB XII zwischen Kindertagesstätten und örtlichen Trägern der Sozialhilfe entfallen, dass das Land den Personalschlüssel für Kindertagesstätten ändert und dass das Land Brandenburg die durch die Änderungen entstehenden Ausgaben sowohl für den baulich-sächlichen Bereich als auch für den personellen Bereich übernimmt.
Für uns ist es völlig unzureichend, wenn als Maßnahme beschrieben wird, die Grundsätze elementarer Bildung würden ergänzt. Es reicht nicht, die in Kindertagesstätten tätigen Erzieherinnen zu sensibilisieren. Es braucht zusätzlicher Fachkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen, um Kinder mit Behinderungen zu begleiten und zu fördern. Die für Inklusion notwendigen Rahmenbedingungen sind andernfalls nicht gegeben.
Dies alles wird in dem Handlungsfeld nicht angesprochen, obwohl wir auf unsere diesbezüglichen Erwartungen Frau Ministerin Dr. Münch beziehungsweise ihren Vorgänger im Amt, Herrn Staatssekretär Jungkamp und auch Vertreter des Sozialministeriums mehrfach hingewiesen haben beziehungsweise hinweisen.
Von Inklusion kann in diesem Handlungsfeld nicht die Rede sein.
IV. 1.2 Erziehung und Bildung in der Schule
Unter Ziffer 1.2. ist eine Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes erst zum Schuljahr 2015/2016 avisiert. Es heißt, die Landesregierung wolle langfristig ein hochwertiges Angebot an inklusiven Bildungsmöglichkeiten schaffen. Bauliche und sächliche sowie die erforderlichen personellen Voraussetzungen seien in der jeweiligen Verantwortung sicherzustellen. Grundlage sollen regional abgestimmte Entwicklungskonzepte zwischen den Schulen, den staatlichen Schulämtern, den Schul- und Sozialleistungsträgern sowie den verschiedenen Interessenvertretungen sein.
Die Landesregierung beabsichtigt demnach, die Umsetzung des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dem Lauf der Dinge zu überlassen und abzuwarten, wie sich staatliches Schulamt, Schulträger und Sozialhilfeträger zusammenraufen. Ein solches Vorgehen wird der Verantwortung der Landesregierung nicht gerecht. Damit regelt das Land nicht selbst kraft Gesetzes die weitere Entwicklung, sondern gibt seine Verantwortung ab, mit der Folge, dass die Menschen vor Ort mit ihren verschiedenen Interessen in Dispute und Auseinandersetzungen gedrängt werden, ohne dass sie in einem Gesetz einen roten Faden finden könnten. Der politische Druck wird weitergeben an die Schulträger, die die Forderungen von Eltern und Lehrern erfüllen sollen und damit zum Ausfallbürgen für das Land Brandenburg werden.
Wir weisen deshalb erneut darauf hin, dass das anspruchsvolle Reformvorhaben „Inklusive Bildung“ eines sorgfältig geplanten Prozesses bedarf. Hierzu ist es unverzichtbar, dass die Landesregierung allen beteiligten Verbänden und Interessengruppen einen Konzeptentwurf zur inklusiven Bildung vorlegt, der Ausgangslage, differenzierte Entwicklungsszenarien, (Etappen-)Ziele sowie den jeweiligen Ressourcenbedarf darstellt. Nur auf dieser Grundlage wird die Diskussion sinnvoll zu führen sein und können Entscheidungen vorbereitet werden.
Ein solches Konzept ist seitens des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport bereits im Januar 2011 für die Regionalkonferenzen angekündigt worden. Im Zuge der Regionalkonferenzen verlautete sodann, ein Konzept werde erst auf der Grundlage der Erkenntnisse der Regionalkonferenzen erarbeitet werden und Bestandteil des Behindertenpolitischen Maßnahmepaketes sein. In dem Entwurf des Maßnahmepaketes heißt es nunmehr, dass die Konferenzen ausgewertet und zu einem Gesamtkonzept zusammengeführt würden.
Die Einrichtung eines Runden Tisches kann dem öffentlichen Interesse an der Diskussion über die Ziele von Inklusion und den Weg dorthin nur gerecht werden, wenn zuvor in einem Konzeptentwurf alternative Entwicklungsszenarien einschließlich des diesbezüglichen Ressourcenbedarfs aufgezeigt, der lokalen Ebene Gestaltungsspielräume gesichert und die kommunalen Mehraufwendungen gemäß des strikten Konnexitätsprinzips erstattet werden.
Wir halten fest, dass sich aus Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention keine unmittelbaren Rechtsansprüche auf eine gemeinsame Beschulung gegenüber der Schulaufsicht und dem kommunalen Schulträger herleiten lassen. Aus dem Zustimmungsgesetz des Bundes vom 21. Dezember 2008 folgt aufgrund der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit der Bundesländer für das schulische Bildungswesen sowie des Prinzips der Bundestreue deren Pflicht zur Umsetzung in Landesrecht. Bund und Länder dürfen die im Zusammenhang mit der Konvention eingegangenen Verpflichtungen nicht auf Kosten der Kommunen umsetzen. Die Konvention verpflichtet nämlich nicht unmittelbar die Kommunen zur Gewährleistung eines inklusiven Bildungssystems. Wäre das der Fall, würde die Konvention die bundesverfassungsrechtlich begründete Kompetenzordnung beziehungsweise die interne Staatsorganisation aushebeln. Demgemäß hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 20. November 2009 (Az: 7 B 2763/09) klargestellt, dass aus Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention kein unmittelbarer Rechtsanspruch folgt.
Ein Gesetzentwurf einschließlich eines Gesamtkonzeptes inklusiver Bildung ist folglich aus rechtlichen wie fachlichen Gründen notwendig. Ein zeitnaher Konzeptentwurf ist überdies erforderlich, weil viele Städte und Gemeinden zunehmend mit Forderungen von Eltern und Behindertenverbänden nach Schaffung inklusiver Schulen konfrontiert werden, mangels rechtlicher Grundlage sowie der Klärung der Rahmenbedingungen durch die Landesregierung aber insoweit weder verantwortbar planen noch handeln können.
Den Landkreisen, kreisfreien Städten und Schulträgern ist daher die „Entwicklung eines flächendeckenden Netzes inklusiver Schulen durch Erstellung von Schulentwicklungs(teil)plänen „Inklusion“, wie sie der Entwurf ab dem Jahre 2012 vorsieht (Maßnahme 1.9), nicht möglich.
Aus Formulierungen des Maßnahmepaketes, wie „inklusive Bildungsmöglichkeiten schaffen“ oder „flächendeckendes Netz inklusiver Schulen“, lässt sich schließen, die Landesregierung wolle nicht alle Schulen zu inklusiven Schulen entwickeln, sondern lediglich ein „Netz inklusiver Schulen“ anbieten. Vor einer solchen Ausdifferenzierung warnen wir ausdrücklich. Sie wird dem Gedanken der inklusiven Schule nicht gerecht, bringt die Schulträger zueinander in Konkurrenz und spielt sie damit gegeneinander aus. Hinzukommt, dass damit Schülern längere Schulwege zugemutet werden.
Der Entwurf sieht die „Erprobung von Inklusionskonzepten und Entwicklung von Beispielen guter Praxis“ ab dem Schuljahr 2012/2013 vor. Ausführungen zur Auswahl und Ausstattung der Pilotschulen enthält der Entwurf nicht. Insoweit bitten wir um nähere Erläuterungen, wie dieser Übergangsprozess ausgestaltet werden soll. Ein Voranschreiten nach dem Freiwilligkeitsprinzip lehnen wir ab. Es bietet keine Planungssicherheit für alle innerhalb einer Region betroffenen Schulträger (von Regelschulen und Förderschulen etc.), Eltern und Lehrer, da die starken Wechselwirkungen innerhalb der Schullandschaft unberücksichtigt bleiben. Eine verlässliche Schulentwicklungsplanung würde erschwert. Da die personelle und sächliche Ausstattung der künftigen inklusiven Schulen noch ungeklärt ist, besteht die Gefahr, dass sich der Druck zur „freiwilligen Selbstausbeutung“ auf Seiten der Lehrkräfte, Sonderpädagogen sowie Schul- und Sozialhilfeträger weiter erhöht und ein „Windhundrennen“ um eventuelle Fördermittel in der Freiwilligkeitsphase einsetzt. Zudem besteht Sorge, dass sich die Landesregierung der Anwendbarkeit des strikten Konnexitätsprinzips gemäß Art. 97 Landesverfassung entzieht und die erheblichen kommunalen Mehraufwendungen zur Umsetzung des Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht ausgeglichen werden.
Hinsichtlich der Finanzierung der Inklusion durch Transformation in Landesrecht ist das strikte Konnexitätsprinzip gemäß Art. 97 Landesverfassung zu beachten. Zu erstatten sind einerseits die auf die kommunalen Schulträger zukommenden Investitionen zur Schaffung von Barrierefreiheit im Gebäudebestand. Hierzu zählen auch Aufwendungen für höheren Raumbedarf inklusiver Schulen (z.B. im Falle niedrigerer Klassenfrequenzen und sog. Schutzräume). Daneben sind steigende Anforderungen an die Lernmittelversorgung und die Schülerbeförderung zu berücksichtigen. Der Entwurf greift in die Selbstverwaltung der Schulträger ein, indem er eine Finanzierung des sukzessiven Ausbaus der baulichen Barrierefreiheit von Schulen aus den kommunalen Haushalten vorsieht (Maßnahme 1.11). Gleiches gilt für Ausführungen, wonach bauliche und sächliche sowie die erforderlichen personellen Voraussetzungen durch kommunale Träger sicherzustellen seien.
Neben diesen Kosten sind erhebliche Mehrausgaben speziell für die durch inklusive Beschulung erforderliche personelle Unterstützung, insbesondere für Integrationshelfer, aber auch anderes therapeutisches Personal und Sozialpädagogen zu erwarten. Durch einen verstärkten Einsatz von Integrationshelfern käme ein erhebliches Kostenrisiko auf die kreisfreien Städte und Landkreise zu, die nach derzeitiger Rechtslage die individuellen Rechtsansprüche auf Integrationshelfer als Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger als nachrangig Verpflichtete gemäß § 35 a SGB VIII, § 54 SGB XII finanzieren. Daher sind im Gesetzentwurf Regelungen zu treffen, die die vorrangige Zuständigkeit und Finanzierungsverantwortung für derartige personelle Unterstützungsmaßnahmen vollumfänglich durch das Land, das die Voraussetzungen für gelingenden Schulunterricht zu gewährleisten hat, sicherstellen.
Wir lehnen Versuche ab, lediglich Räume der Regelschulen für behinderte Kinder und Jugendliche zu öffnen, aber keine Qualität der Bildung, Erziehung und Betreuung zu sichern. Inklusiver Unterricht setzt entsprechende pädagogische Konzepte unter Einbeziehung angemessenen sonderpädagogischen Sachverstandes, Qualifizierung und Professionalisierung der Lehrkräfte voraus. Es ist hinlänglich bekannt, dass die gegenwärtigen sonderpädagogischen Ressourcen ungenügend sind und zum Zwecke der Lehrervertretung aufgezehrt werden. Nach unserer Einschätzung bedarf es eines erheblichen Mehrbedarfs an Lehrkräften und Sonderpädagogen an Regelschulen, sofern die Landesregierung ihre anspruchsvollen Ziele aufrechterhält. Überdies werden geringere Klassenfrequenzen erforderlich sein.
Soweit es in Maßnahme 1.14 heißt, die Schulträger seien für die Qualifizierung des gemeinsamen Unterrichts zuständig, weisen wir darauf hin, dass dies nicht richtig ist. Sonderpädagogische Förderung, die Ermittlung der Förderbedarfe, Beratung und Unterstützung fallen nicht in die Zuständigkeit der Schulträger. Wenn das Land möchte, dass die Schulträger diese Aufgaben warnehmen, bedarf es einer gesetzlichen Verpflichtung und einer entsprechenden Ausfinanzierung dieser für die kommunalen Schulträger neuen Aufgabe.
Vor dem Hintergrund des sowohl auf Ebene der Kommunen und als auch des Landes aufgezeigten Ressourcenbedarfs warnen wir nachdrücklich vor einer halbherzigen Finanzierung der Inklusiven Bildung. Guter Wille und die Überzeugung von der Leitidee der UN-Konvention allein werden weder Lehrkräfte noch Schul- und Hortträger in die Lage versetzen, inklusive Bildungseinrichtungen zu schaffen. Wir appellieren daher an die Landesregierung, von politischen Zielvorstellungen Abstand zu nehmen, solange diese nicht ausfinanziert sind. Beide Ziele, Inklusion einerseits und Einsparung von 27 Millionen Euro im Bildungsetat andererseits, sind unseres Erachtens nicht miteinander vereinbar.
Auch die Grenzen einer inklusiven Schulbildung werden zu definieren sein. Das Recht auf inklusive Bildung wird nicht vorbehaltlos gewährt. Völkerrechts- bzw. systemimmanente Einschränkungen ergeben sich unter anderem aus dem Recht des Kindeswohls. Im Einzelfall ist es denkbar, dass etwa die Gesundheit oder das Recht auf Bildung anderer Kinder durch eine inklusive Beschulung gefährdet würden. Können beispielsweise bei aggressivem Verhalten eines Kindes mit sonderpädagogischen Förderbedarf die Rechte anderer Kinder nicht durch andere geeignete Maßnahmen gesichert werden, so muss das Recht auf inklusive Beschulung zurückstehen. Auch der Vorbehalt der staatlichen Finanzen kann dazu führen, dass zwar die Pflicht zur Umsetzung der inklusiven Schulbildung besteht, die Verwirklichung vor dem Hintergrund der notwendigen Ressourcen sich aber nur in einem gestreckten zeitlichen Verfahren umsetzen lässt.
Abschließend werben wir für Besonnenheit und Augenmaß hinsichtlich des Umgangs mit den Förderschulen. Die UN-Behindertenrechtskonvention schließt den Fortbestand von Förderschulen nicht aus, sondern lässt diese auch weiterhin als Förderorte zu. Während eine nahezu vollständige inklusive Beschulung bei bestimmten Förderschwerpunkten sinnvoll und möglich erscheint, werden Förderschulen für andere Förderschwerpunkte auch weiterhin Bestand haben. Förderschulen sind somit in ein Gesamtkonzept der schulischen Inklusion einzubeziehen. Dieses Gesamtkonzept muss eine differenzierte Betrachtung der individuell unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderbedarfe erkennen lassen. Maßstab muss das Kindeswohl sein.
Wir halten auch Sofortmaßnahmen zur substanziellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Förderschulen für erforderlich. So ist das Förderausschussverfahren dahingehend zu ändern, dass eine Beteiligung des Schulträgers sowie des Landkreises in seiner Funktion als Sozial- und Jugendhilfeträger und Träger der Schülerbeförderung sichergestellt wird. Weiterhin ist sicherzustellen, dass an der Förderschule als Schulabschluss die einfache Berufsausbildungsreife erreicht werden kann, ohne dass hierfür ausdrücklich ein Antrag gestellt werden muss. Eine Zentralisierung des Förderausschussverfahrens halten wir nicht für erforderlich und für wenig bügerfreundlich.
IV. 1.3 Studium und Ausbildung an Hochschulen
Derzeit erbringen nach SGB XII die örtlichen Träger der Sozialhilfe Leistungen, damit junge Menschen eine Hochschule besuchen können.
Zukünftig muss die Hochschule selbst beziehungsweise muss das Wissenschaftsministerium die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass behinderte Menschen ebenso wie nicht behinderte Menschen ihrem Studium nachgehen können. Das heißt, die Hochschule muss alle sächlichen und personellen Voraussetzungen schaffen ebenso wie sie die Beförderung der Studierenden ermöglichen muss.
Dies bedeutet, dass das Hochschulgesetz geändert werden muss.
Angesichts dessen, dass in Kindertagesstätten und Schulen die Daten der Kinder und Schüler minutiös erhoben werden, darf es schon erstaunen, dass bei Studierenden der Datenschutz vorgeht.
IV. 2 Handlungsfeld „Teilhabe am Arbeitsleben“
Bei diesem Handlungsfeld handelt es sich unbestreitbar aus verschiedenen Gründen um einen sehr wichtigen Aufgabenbereich, in dem die verschiedenen zuständigen Behörden zusammenarbeiten sollen. Insbesondere ist hier auch die Bundesagentur für Arbeit gefragt.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die örtlichen Träger der Sozialhilfe Modellvorhaben für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten durchführen und inwieweit das Land Brandenburg für die Modelle finanzielle Mittel zur Verfügung stellt.
Soweit in Berufsschulen oder Oberstufenzentren Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen, damit Jugendliche mit und ohne Behinderungen gemeinsam lernen können, wird auf unsere obigen Ausführungen im Handlungsfeld Bildung verwiesen.
IV. 3 Handlungsfeld „Inklusiver Sozialraum“
Unter Bestandsaufnahme und Herausforderung heißt es, „die dafür erforderliche Infrastruktur ist vorhanden, muss jedoch insbesondere mit flächendeckenden Dienstleistungen weiter ausgebaut werden. Dabei stehen das Wunsch- und Wahlrecht, die Interessen und Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund und sind Gegenstand der kommunalen Bedarfsplanung auf der Basis einer zielgerichteten Bedarfsanalyse.“
Es wird nicht klar, von welchem Aufgabenbereich hier die Rede ist. Beziehen sich diese Ausführungen auf das betreute Wohnen, welches über die Sozialhilfe finanziert wird? Oder beziehen sich die Ausführungen auf das Wohnen eines jeden Menschen, mit oder ohne Behinderungen?
Soweit die Wohnraumförderung angesprochen wird, ist darauf hinzuweisen, dass diese durch die Landesregierung regelmäßig nur in bestimmten Gemeinden und dann unter Umständen nur bei in Innenstädten gelegenen Gebäuden zugelassen wird. Damit benachteiligt die Landesregierung erneut bewusst den ländlichen Raum und alle Menschen, die nicht in Gebieten förderungswürdiger Städte leben. Die Menschen im ländlichen Raum erbringen jedoch ebenso ihre Lebensleistung wie Menschen, die in Städten wohnen. Die Konzentration der Wohnraumförderung allein in bestimmten Städten ist aus Gründen der Gleichbehandlung der Bürger unakzeptabel. Wohnraumförderung muss sich am Bedarf nach preiswertem Wohnraum im gesamten Land ausrichten.
Besonders deutlich wird die nicht angemessene Unterscheidung der Landesregierung von Menschen, die in Städten leben, zu Menschen, die in Gemeinden ohne Stadtrecht leben, bei den Maßnahmen 3.1 bis 3.3. Von Selbstbestimmtheit und Chancengleichheit kann hier nicht die Rede sein.
Soweit es die Barrierefreiheit von Gebäuden betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass zumindest im privaten Wohnungsbau vielfach barrierefreie Wohnungen errichtet, diese aber später als solche nicht genutzt werden. Sinnvoller erscheint uns die Anpassung von Wohnungen je nach individuellem Bedarf, zumal je nach Art und Grad der Behinderung die Bedarfe tatsächlich unterschiedlich sind. Dies entspricht jedenfalls den Erfahrungen unserer Mitglieder.
IV. 4 Handlungsfeld „Barrierefreiheit: Mobilität, Kommunikation, Information“
Die Herstellung von Barrierefreiheit gilt als eine wesentliche Bedingung für eine unabhängige Lebensführung. Nach Art. 9 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sollen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen treffen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten. Dies bezieht sich auch auf Gebäude und Straßen.
Wie bereits dargelegt, bedarf es zur Umsetzung des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen eines Landesgesetzes. Die UN-Konvention bindet nicht die Kommunen in Brandenburg, Umsetzungsstrategien und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Insofern ist die Einleitung zu diesem Handlungsfeld irreführend.
Wenn die Landesregierung Brandenburg in Brandenburg eine vollständige barrierefreie Ausgestaltung der öffentlichen Gebäude, der Straßen, Wege und Plätze, des Verkehrs, der Information und Kommunikation anstrebt und hierfür gesetzliche Änderungen des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes und der Bauordnung vorsehen will, muss sie zunächst eine Kostenuntersuchung und eine Gesetzesfolgenabschätzung durchführen.
Ohne eine solche Untersuchung lassen sich die Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen nicht absehen. Der Gesetzgeber wird ins Blaue hinein tätig und die mit den Gesetzen Verpflichteten werden aller Voraussicht nach überfordert, weil sie die gesetzlichen Verpflichtungen mangels Ressourcen gar nicht umsetzen können.
Im Weiteren ist es nicht ausreichend, lediglich auf DIN-Normen Bezug zu nehmen und hieran anzuknüpfen. Wegen des Eingriffs in Grundrechte oder auch in das grundrechtlich geschützte Recht auf kommunale Selbstverwaltung ist es erforderlich, dass der Landesgesetzgeber selbst die Anforderungen an Barrierefreiheit formuliert und festlegt. Wegen des Primats des Gesetzgebers kann dies weder der Landesverwaltung noch DIN-Gremien überlassen bleiben.
Soweit die Landesregierung die Städtebauförderung oder die Förderung der nachhaltigen Stadtentwicklung von dem Kriterium der Barrierefreiheit abhängig machen will, kommt es auf die Definition der Barrierefreiheit an. Hievon wird abhängen, wie viele Städte überhaupt noch im Programm verbleiben können.
Zu den Absichten im Bereich Mobilität ohne Barrieren ist darauf hinzuweisen, dass auch hier nur wenige ausgewählte Gemeinden von den Förderprogrammen profitieren können. Der überwiegende Teil der Gemeinden kann wegen der Fördervoraussetzungen diese Programme gar nicht nutzen. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung der Menschen mit Behinderungen durch das Land Brandenburg.
Da es an einer Kostenabschätzung der beabsichtigten Änderungen des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes mangelt und die Auswirkungen der neuen Pflichten und der Erhöhung der Standards auf die Städte, Gemeinden und Ämter nicht ermittelt wurden, sehen wir nicht, wie es zu einem verfassungsgemäßen Gesetz kommen soll. Die Städte, Gemeinden und Ämter können die vorgesehenen Aufgaben jedenfalls nicht ausfinanzieren.
Wir bezweifeln, dass das Land Brandenburg bereit ist, die entstehenden Ausgaben zu übernehmen. Dies ist in dem Maßnahmepaket auch nicht vorgesehen.
Soweit in Maßnahme 4.14 eine Evaluation des brandenburgischen Straßengesetzes vorgesehen ist, ist zu sagen, dass soeben eine Evaluation durchgeführt wurde. Eine darüberhinausgehende Evaluation beziehungsweise eine Untersuchung der in Straßenbaulast der Städte und Gemeinden liegenden Straßen, Wege und Plätze lehnen wir ab. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme ist äußerst fraglich, zumal das Land seine Straßen gerne in die Straßenbaulast der Kommunen abgeben möchte.
Unter Maßnahme 4.28 ist vorgesehen, dass die Zugänge zu Frauenhäusern und zu Frauenberatungsstellen barrierefrei gestaltet werden sollen. Auch hier weisen wir darauf hin, dass die Kommunen keine zusätzlichen finanziellen Mittel zur Verfügung haben, viele Kommunen mit Haushaltssicherungskonzepten arbeiten und die Städte und Gemeinden jedenfalls das Versprechen des Landes nicht einzulösen vermögen.
IV. 5 Handlungsfeld „Gesundheit und Pflege“
Die pflegerische Versorgung in Brandenburg betrifft alle Menschen und sollte nicht dem behindertenpolitischen Maßnahmepaket untergeordnet werden. Im Rahmen des seniorenpolitischen Maßnahmepaketes hieß es seitens der Landesregierung, für den Bereich Pflege werde ein gesondertes pflegepolitisches Maßnahmepaket entwickelt. An dieser Strategie sollte festgehalten werden. Wir sind auch der Auffassung, dass die Trennung des Bereichs der Eingliederungshilfe von dem Bereich der Pflege ein Ausdruck der Wertschätzung gegenüber den betroffenen Menschen und den in den jeweiligen Systemen arbeitenden Menschen wäre.
Andernfalls könnte auch der Eindruck entstehen, als sollten sich Pflegestützpunkte nunmehr weiterentwickeln zu Anlaufstellen für behinderte Menschen. Dies würde deren speziellen Bedarfen aber nicht gerecht, weshalb wir eine Verknüpfung der Themen nicht befürworten.
Die Maßnahmen 5.15. und 5.16 (Fachkräftestudie Pflege und Pflegepolitisches Maßnahmepaket) sollten aus dem Maßnahmepaket herausgenommen werden.
IV. 6 Handlungsfeld „Kultur, Freizeit, Sport“
Ziel dieses Handlungsfeldes ist, in Brandenburg über insgesamt mehr barrierefreie Kulturstandorte, naturnahe Erholungsorte, Sportstätten sowie Tourismus- und Freizeitangebote zu verfügen.
Im Bereich des Sportstättenbaus sollen die Bauvorschriften entsprechend der DIN 18024 eingehalten und umgesetzt werden. Diesbezüglich dürfen wir darauf verweisen, dass wir eine Bezugnahme der Landesverwaltung auf DIN-Vorschriften nicht als ausreichend betrachten. Hier ist der Landesgesetzgeber gefragt, durch Gesetz Anforderungen an Sportstätten vorzugeben.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der größte Teil der Sportstätten in Brandenburg nicht solche des Landes, sondern der Kommunen sind. Bei einer Bauträgereigenschaft einer Stadt oder Gemeinde ist auch hier das strikte Konnexitätsprinzip einzuhalten.
Dies gilt ebenso für kommunal getragene Kulturstandorte.
IV. 7 Handlungsfeld „Selbstbestimmtes Leben, Freiheits- und Schutzrechte“
Dies Handlungsfeld geht darauf ein, Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Justiz zu gewähren. Zum einen bedeutet dies, dass in allen Verfahrenstadien Prozesse und Gerichtsverfahren barrierefrei gestaltet werden sollen. Zum anderen heißt es, Menschen, die für die Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit Unterstützung benötigen, sollen die erforderliche Assistenz erhalten. „Das Prinzip der Vertretung erfolgt nur dann, wenn das Prinzip der Unterstützung nicht ausreichend ist. Die sozialen Leistungssysteme sind aufeinander abgestimmt und am Wohl und Wunsch des jeweiligen Menschen ausgerichtet.“
Es wird nicht klar, was genau hiermit gemeint ist. Welche sozialen Leistungssysteme sind dafür zuständig, „Vertretung“ oder „Unterstützung“ zu gewähren?
Den unter 7 genannten Maßnahmen lassen sich Bezüge zu den örtlichen Betreuungsbehörden, den örtlichen Sozialhilfeträgern und den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe entnehmen. Sollten durch die verschiedenen Maßnahmen deren Zuständigkeiten berührt werden, sind durch die Ressorts der Landesregierung die kreisfreien Städten und Landkreise beziehungsweise die kommunalen Spitzenverbände einzubeziehen. Es kann nicht sein, dass das Landesjugendamt Maßnahmen projektiert, die letztlich durch die Sozialhilfeträger ausgeführt und finanziert werden sollen.
IV. 8 Handlungsfeld „Bewusstseinsbildung, Partizipation und Interessenvertretung“
Die Sensibilisierung der gesamten Bevölkerung für die Belange behinderter Menschen ist eines der vordringlichsten Anliegen. Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft müssen alle Menschen und Bevölkerungsgruppen mitgenommen werden. Nur hierdurch können gegenseitige Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, aber auch Achtung der Selbständigkeit gestärkt werden.
Zur Partizipation behinderter Menschen gilt das unter B.II. ausgeführte.
Ein Entwurf des unter Maßnahme 8.5 genannten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes liegt uns seit kurzem vor, allerdings noch nicht mit der Bitte um Stellungnahme. Der Anwendungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes soll auf die Städte, Gemeinden und Ämter ausgeweitet werden. Auf eine solche Ausweitung hat der Landtag Brandenburg bei Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2003 mit Rücksicht auf das strikte Konnexitätspinzip verzichtet. Der jetzt vorliegende Entwurf beachtet das strikte Konnexitätsprinzip nicht und ist mithin verfassungswidrig.
Mit Blick auf die Haushaltslage des Landes und der Kommunen schätzen wir ein, dass die Umsetzung des Gesetzes weder vom Land Brandenburg noch von den Kommunen gestemmt werden kann. Insofern ist fraglich, welchen Sinn ein solches Gesetz macht.
Ohne einer Stellungnahme unseres Verbandes zu dem Gesetzentwurf vorgreifen zu wollen, können wir bereits jetzt auf Grund von Beratungen in unserem Verband vorausschicken, dass wir ein Verbandsklagerecht, eine Beweislastumkehr, ein Akteneinsichtsrecht des Landesbehindertenbeauftragten, eine verstärkte, Verwaltungskosten verursachende Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Landesbehindertenbeauftragten äußerst kritisch betrachten.
Mit freundlichen Grüßen“
Monika Gordes, stellvertretende Geschäftsführerin
Az: 403-00