Stellungnahme des StGB: Positionspapier der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände vom 5. Juli 2006
Bundesvereinigung: Aktuelles Positionspapier der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zum Grünbuch der Kommission zu ÖPP und Vergaberecht
Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat zu einem Arbeitsdokument des EU-Parlaments über das Grünbuch der Kommission zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinsamen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen ein Positionspapier vorgelegt.
Es wird nachfolgend dokumentiert:
„Anrede,
im Namen der drei kommunalen Spitzenverbände, Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städte- und Gemeindebund, bedanken wir uns bei Ihnen (…). Nachstehend möchten wir mit Blick auf Ihr Arbeitsdokument zum Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen die konkreten Positionen der deutschen Kommunen verdeutlichen:
1. Keine zusätzliche EU-Regelung für vertraglich öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP)
Die kommunalen Spitzenverbände sprechen sich nachdrücklich dagegen aus, im Bereich der rein öffentlich-privaten Partnerschaften eigenständige und neue EU-Regeln zu schaffen. Dieser Bereich der öffentlich-privaten Partnerschaften betrifft die bisher schon ganz selbstverständlich praktizierte Einbindung und Beauftragung privater Partner bei der Erledigung und Durchführung kommunaler Aufgaben (Bsp.: Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung).
Werden derartige Aufgaben von den Kommunen extern an Private vergeben, geschieht dies grundsätzlich nach vorherigem Wettbewerb und vorheriger Ausschreibung. Bei Überschreiten der EU-Schwellenwerte muss sogar eine europaweite Bekanntmachung und Ausschreibung erfolgen, die ihre Grundlage in den entsprechenden EU-Vergaberichtlinien hat. Rein vertragliche öffentliche Partnerschaften (ÖPP) sind daher nichts Neues und bereits seit langem auch EU-rechtlich hinreichend geregelt. Einer neuen und zusätzlichen Regelung bedarf es daher nicht.
2. Institutionelle öffentlich-private Partnerschaften (IÖPP)
Anders als die rein öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) betreffen die so genannten institutionellen öffentlich-privaten Partnerschaften (IÖPP) den Themenkreis der Gründung und Beauftragung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen durch die kommunalen Mehrheitseigner und die hiermit zusammenhängende Frage der Anwendung bzw. Nichtanwendung des Vergaberechts.
Der Europäische Gerichtshof hat hier in seiner Grundlagenentscheidung vom 18.11.1999 („Teckal“) ausgeführt, dass bei einem entgeltlichen Vertrag zwischen einer Kommune und einem von ihr gegründeten Unternehmen über Beschaffungsleistungen ein vergaberechtsfreies In-House-Geschäft nur dann vorliegt, wenn
- die Kommune über die von ihr gegründete Einrichtung eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen (Kontrollkriterium) und
- diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Kommune/die Kommunen verrichtet, die ihre Anteile innehat/innehaben (Wesentlichkeitskriterium).
In einer späteren und grundlegenden EuGH-Entscheidung vom 11.01.2005 („Stadt Halle“) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass jede minderheitliche Gesellschaftsbeteiligung eines Privaten an einer kommunalbeherrschten Gesellschaft das Kontrollkriterium ausschließt und daher bei entsprechender Beauftragung des Privaten mit Beschaffungsleistungen eine Ausschreibung erforderlich sei.
In den nachfolgenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 13.10.2005 („Parking Brixen“), vom 06.04.2006 („ANAV“) sowie vom 11.05.2006 („Cabotermo“) hat der Gerichtshof seine einengende Rechtsprechung hinsichtlich des Kontrollkriteriums im Grundsatz fortgeführt, jedoch im positiven Sinne festgestellt, dass eine Kontrolle auch bei einer Beteiligung mehrerer Kommunen an einer allein von diesen gegründeten und beherrschten Einrichtungen vorliegen kann. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof zugleich festgestellt, dass selbst bei einer 100 %-igen Beherrschung einer Kommune/von Kommunen eine Kontrolle dann ausgeschlossen ist, wenn z. B. bei einer Aktiengesellschaft ein Verwaltungsrat zwischengeschaltet ist, der die Komplettkontrolle der Kommune selbst aufhebt.
Hinsichtlich des zweiten Kriteriums (Wesentlichkeitskriterium) hat es der Europäische Gerichtshof abgelehnt, die in der EU-Sektorenrichtlinie vorgegebene Grenzziehung auf das klassische Vergaberecht zu übernehmen (80 %/20 %-Regelung). Nach dieser Richtlinie ist eine wesentliche Tätigkeitsausübung einer Einrichtung für eine Kommune bzw. für Kommunen auch dann noch gegeben, wenn diese mindestens 80 % ihres Umsatzes für die sie beherrschenden Kommunen durchführt. Insoweit muss nach dem EuGH im Hinblick auf das Wesentlichkeitskriterium eine Einzelfallentscheidung stattfinden, die sich sowohl nach „qualitativen wie auch quantitativen Kriterien“ bemisst.
Diese durch den EuGH aufgestellten Vorgaben sowohl im Hinblick auf das Kontrollkriterium als auch im Hinblick auf das Wesentlichkeitskriterium führen in der praktischen Anwendung von IÖPP sowohl bei den Kommunen als auch bei ihren privaten Partnern zu einer großen Rechtsunsicherheit.
Um diese Rechtsunsicherheit für die Zukunft zu beseitigen, schlagen wir eine Klarstellung im EU-Recht vor.
Als Ansatzpunkt für eine Definition kann auf die vom Europäischen Parlament im Rahmen der Verhandlungen zum Legislativpaket des Vergaberechts vorgeschlagene In-House-Definition zurückgegriffen werden (Vorschlag des EP für Art. 18a der „klassischen“ Richtlinie - 2004/18/EG):
„Diese Richtlinie gilt nicht für Aufträge, die von einem öffentlichen Auftraggeber an eine von diesem rechtlich getrennte Einrichtung vergeben werden, wenn dieser über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber verrichtet, der seine Anteile innehat. Eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ist gegeben, wenn die Einrichtung von einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern entsprechend Art. I Abs. 9 Satz 2 lit. c) beherrscht wird. Eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle besteht bei Zusammenschlüssen mehrerer Kommunen unabhängig davon, wie groß der Einfluss der einzelnen Kommune ist. Insoweit genügt eine kommunale Beherrschung insgesamt.“
3. Keine Regelung zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen
Die kommunalen Spitzenverbände lehnen eine eigenständige Regelung zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, die über die bisher schon existierenden Mitteilungen der Kommission aus dem Jahr 2000 und vom 15.11.2005 hinausgeht, ab. EU-Dienstleistungskonzessionen sind nach den EU-Vergaberichtlinien vom März 2004 trotz ihrer erkannten Bedeutung für die Praxis weiterhin ausdrücklich vom Vergaberecht ausgenommen worden. Es gelten hier grundsätzlich nur die EU-primärrechtlichen Prinzipien der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung. Diese EU-rechtlichen Prinzipien gelten aber auch für viele andere Bereiche der nicht vom EU-Sekundärrecht umfassten Regelungen. Daher reicht das EU-Primärrecht mit der Vorgabe der genannten Prinzipien aus. Es ist nicht erforderlich, detaillierte Regelungen für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zu schaffen. Diese würden ohnehin nie den konkreten Einzelfall erfassen können und daher wenig zur Rechtsklarheit beitragen. Vielmehr bestünde im Gegenteil die Gefahr, dass durch eine ausdrückliche Regelung zu den zurzeit vom EU-Vergaberecht nicht erfassten Dienstleistungskonzessionen ein so genanntes „Vergaberecht light“ begründet würde, das zu einer investitionsverzögernderen langen Verfahrensdauer - wie mittlerweile im Vergaberecht üblich - führt.
4. Interkommunale Zusammenarbeit und Vergaberecht
Die kommunale Eigenerbringung einer Aufgabe und insbesondere auch die interkommunale Zusammenarbeit stellt die bewusste Alternative zur Privatisierung kommunaler Aufgaben sowohl in der Form der ÖPP als auch in der Form der IÖPP dar. Vor diesem Hintergrund bitten die kommunalen Spitzenverbände nachdrücklich darum, in den zu erstellenden Parlamentsbericht auch eine Klarstellung zu dem für die Praxis wichtigen Spannungsfeld der interkommunalen Zusammenarbeit und dem Vergaberecht aufzunehmen.
Die interkommunale Zusammenarbeit gewinnt vor dem Hintergrund der aktuellen Rahmenbedingungen (Finanznot der Kommunen, Demografie, Vorhaltung eines effizienten Dienstleistungsangebots zugunsten der Bürgerinnen und Bürger) immer mehr an Bedeutung. Mit ihr entscheiden sich die Kommunen aus vielerlei Gründen, beispielsweise bei der Daseinsvorsorgewahrnehmung, bewusst dafür, Aufgaben nicht zu privatisieren, sondern nach wie vor – wie etwa im Bereich der Abfallentsorgung oder auch der Wasserversorgung - in rein öffentlicher Verantwortung zu belassen. Bei der interkommunalen Zusammenarbeit handelt es sich demnach um ein Verwaltungsinternum, das wegen der nach wie vor bestehen bleibenden öffentlichen Aufgabenerfüllung gerade keine externe Beschaffung auf dem Markt von Leistungen durch Dritte darstellt und daher nicht dem Vergaberecht unterworfen werden kann. Dieses bedarf einer grundsätzlichen Klarstellung. Es handelt sich von vornherein um Bereiche, in denen das Wettbewerbs- und Vergaberecht keine Anwendung finden kann. Dies darf nicht nur für einzelne institutionalisierte Formen interkommunaler Kooperationen (Zweckverbände, gemeinsam getragene kommunale Gesellschaften etc.) gelten, sondern muss auch alle anderen Formen der öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen mit umfassen.
Gegenwärtig geht insbesondere die EU-Kommission davon aus, dass allenfalls die so genannte delegierende öffentlich-rechtliche Vereinbarung, bei der eine Kommune unter komplettem Übergang ihrer Rechte und Pflichten eine bisher von ihr wahrgenommene Aufgabe auf eine andere Kommune überträgt, wettbewerbs- und vergaberechtsfrei ist. Demgegenüber wird die so genannte mandatierende öffentlich-rechtliche Vereinbarung, bei der, z. B. im Bereich der Abfallentsorgung, eine andere Kommune für die „abgebende Kommune“ beim Bestehen bleiben von Rechten und Pflichten die Durchführung der„übernommenen“ Aufgabe wahrnimmt, von der EU-Kommission, aber auch von nationalen Gerichten als wettbewerbs- und ausschreibungspflichtig angesehen. In der Praxis ist jedoch die Mandatierung, bei der sich die „übertragende Kommune“ noch bestimmte Kontroll- und Informationsrechte vorbehält, die sachgerechtere und auch häufigere Form der interkommunalen Kooperation auf vertraglicher Ebene. Dies allein deshalb, weil es für die abgebende Kommunen im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger und aus Gründen der demokratischen Kontrolle möglich bleiben muss, noch Einfluss auf die Aufgabenerledigung zu nehmen.
Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände, dass eine Wettbewerbs- und Vergaberechtsfreiheit bei interkommunalen Kooperationen bei allen Formen der Zusammenarbeit immer dann gegeben ist, wenn die handelnden Kommunen ausdrücklich gegenseitig auf sich fixierte Aufgaben interkommunal wahrnehmen, an ihnen private Dritte nicht beteiligt sind und die jeweilige Einrichtung bzw. die handelnden Kommunen nicht ihrerseits im wesentlichen Umfang extern auf dem Markt tätig werden.
Vor diesem Hintergrund sollte die Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit wie folgt klargestellt werden:
„Die Übertragung von Aufgaben zwischen rein kommunalen Einrichtungen ohne Beteiligung privater Dritter auf der Grundlage von Gesetzen, Verordnungen, öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen oder durch die Bildung von Zweckverbänden sowie rein kommunalgetragenen Gesellschaften stellt eine dem Organisationsrecht der Mitgliedstaaten unterfallende Materie dar und beinhaltet, soweit diese Einrichtungen im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber tätig sind, keinen den europäischen Vergaberichtlinien unterfallenden Beschaffungsvorgang. Auf die Vollständigkeit oder Unwiderruflichkeit der Aufgabenübertragung kann es dabei nicht ankommen.“
5. Keine EU-Regelungen für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte
Die kommunalen Spitzenverbände lehnen eigenständige Regelungen zu Auftragsvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte, die die EU-Kommission insbesondere auf der Grundlage eines Entwurfs einer auslegenden Mitteilung vom 11.10.2005 plant, ab. Der EU-Gesetzgeber selbst hat mit der Schaffung der EU-Schwellenwerte eine klare Trennung zwischen EU-relevanten und nicht EU-relevanten Aufträgen vorgenommen. Diese Aufteilung entspricht auch dem Subsidiaritätsprinzip und macht deutlich, dass für volumenmäßig geringere Aufträge eine Binnenmarktrelevanz und damit europäische Betroffenheit nicht besteht.
Im Übrigen besteht bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte kein rechtsfreier Raum, sondern vielmehr findet hier das nationale Vergaberecht Anwendung. Für eine weitergehende Regelung durch eine EU-Mitteilung besteht daher keine Notwendigkeit. Insoweit begrüßen die kommunalen Spitzenverbände die Ablehnungen der Regierungen Österreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland zu den Plänen der EU-Kommission.
Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie diese Anregungen in Ihrem Bericht zum ÖPP-Grünbuch aufgreifen würden.
Mit freundlichen Grüßen“
Az: 601-00 Mitt.StGB Bbg. 07-08/2006