Gerichtsentscheidungen zur Strukturreform
Verfassungsgericht des Landes Brandenburg:
Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg sind über dessen Entscheidungssammlung öffentlich zugänglich.
Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur Frage, ob Ämter als Gebiets- oder Bundkörperschaften anzusehen sind
I. Kommunale Verfassungsbeschwerde des Amtes Fehrbellin betreffend § 16 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Kindertagesstättengesetzes des Landes Brandenburg vom 10. Juni 1992
1. Die Ämter im Land Brandenburg zählen in der gegenwärtigen rechtlichen Ausgestaltung nicht zu den Gemeindeverbänden im Sinne der Art. 97 ff. LV.
2. Die Ämter sind keine Gebietskörperschaften. Hierunter sind solche Körperschaften des öffentlichen Rechts zu verstehen, bei denen sich für die Bürger Rechtsfolgen - wie beispielsweise Wahlrecht oder Steuerpflichten - aus dem Wohnsitz im Gebiet der Gebietskörperschaft ergeben. Sie werden von ihren Einwohnern getragen. Wesentlich ist - in diesem Sinne - das unmittelbare Verhältnis zwischen Personen, Fläche und hoheitlicher. Die Ämter hingegen werden nicht von den Einwohnern, sondern von den amtsangehörigen Gemeinden getragen, deren Repräsentanten den Amtsausschuss bilden. Sie sind deshalb keine Gebiets-, sondern Bundkörperschaften
3. In der Gesamtschau bleiben die von den Ämtern wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben deutlich hinter denen der Gemeinden und Kreise zurück. Die Ämter bilden keine gleichwertig zwischen die Gemeinden und Kreise tretende weitere Ebene der kommunalen Selbstverwaltung, sondern haben als Verwaltungsgemeinschaften der Gemeinden im wesentlichen die Funktion, deren Selbstverwaltung zu bewahren und zu stärken. Sie zählen in ihrer gegenwärtigen Form deshalb nicht zu den Gemeindeverbänden im Rechtssinne.
VerfGBbg, Beschluss vom 21.01.1998 - VfGBbg 8/97 -
Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur Kreisgebietsreform 1993:
I. Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung der Stadt Eisenhüttenstadt und der Landkreise Eisenhüttenstadt und Guben betreffend § 2 des Gesetzes zur Bestimmung von Verwaltungssitz und Namen des Landkreises Elbe-Elster (Elbe-Elster-Gesetz - ElbElstG) vom 22. April 1993
1. Zu den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung insbesondere für den Fall, dass eine Gesetzesaussetzung begehrt wird.
2. Wird im Zusammenhang mit einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen die Kreisneugliederung im Wege der einstweiligen Anordnung die Aussetzung von Kreistagswahlen beantragt, sind in die vom Verfassungsgericht anzustellende Folgenabwägung außer den Belangen der antragstellenden Alt-Kreisen auch die Belange der (vorgesehenen) Neu-Kreise und die gesetzgeberische Grundentscheidung für gleichzeitige und unter gleichen politischen Rahmenbedingungen stattfindende Kreistagswahlen sowie der Umstand einzubeziehen, dass gegebenenfalls der Wahlkampf regional ins Leere gegangen wäre.
(Nichtamtliche Leitsätze des Gerichts)
VerfGBbg, Urteil vom 30.11.1993 - VfGBbg 3/93 EA -
II. Verfassungsbeschwerden der seinerzeitigen Kreise Eisenhüttenstadt, Guben und Spremberg
1. Ein für das Verfahren vor dem Verfassungsgericht als fortbestehend geltender Landkreis, dessen zuletzt amtierender Landrat in den Diensten eines durch das Verfahren berührten neuen Landkreises steht, wird durch den zuletzt amtierenden stellvertretenden Landrat vertreten.
2. Zu den Anforderungen an die Anhörung der von einem Neugliederungsvorhaben betroffenen Gemeinden und Gemeindeverbände. Ein relativ kurzer Zeitraum zwischen Einbringung des Gesetzentwurfs und Anhörung im Gesetzgebungsverfahren kann unter Umständen durch eine Beteiligung an der Vorbereitung des Gesetzentwurfs ausgeglichen werden.
3. Bei der Frage, ob eine kommunale Neugliederung im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV dem öffentlichen Wohl entspricht, ist das Verfassungsgericht auf die Prüfung beschränkt, ob die Zielvorstellung, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder im übrigen der verfassungsmäßigen Wertordnung widersprechen, ob der entscheidungserhebliche Sachverhalt umfassend ermittelt ist und die Vor- und Nachteile der Regelung gewichtet und in die Abwägung eingestellt worden sind.
(Nichtamtliche Leitsätze des Gerichts)
VerfGBbg, Urteil vom 15.09.1994 - VfGBbg 3/93
III. Verfassungsbeschwerden der Stadt Finsterwalde und des Kreises Finsterwalde betreffend § 2 des Gesetzes zur Bestimmung von Verwaltungssitz und Namen des Landkreises Elbe-Elster (Elbe-Elster-Gesetz - ElbElstG) vom 22. April 1993
1. Das Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde erstreckt sich nicht darauf, Sitz der Kreisverwaltung zu sein. Insoweit fehlt es bereits an einer Beschwerdebefugnis der Gemeinde.
2. Das Selbstverwaltungsrecht eines in einem neuen Landkreis aufgegangenen ehemaligen Landkreises wird durch die Festlegung des Kreissitzes für den neuen Landkreis nicht betroffen. Insoweit fehlt es bereits an einer Beschwerdebefugnis des ehemaligen Landkreises.
(Amtliche Leitsätze des Gerichts)
Während die Einkreisung die verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsaufgaben um die kreisliche Ebene vermindert, hängt der Bestand der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben nicht davon ab, ob die Gemeinde gleichzeitig Kreissitz ist. Außerdem geht der Wegfall der Kreisfreiheit zwangsläufig mit einer Gebietsänderung einher, da das Gebiet der kreisfreien Gemeinde einem Landkreis einverleibt werden muss. Ist die Einkreisung mithin ein besonderer Fall der Kreisneugliederung, ist eine eigene Beschwer der eingekreisten Gemeinde schon aus diesem Grunde gegeben. Die Nichtberücksichtigung als Kreissitz lässt dagegen das Kreisgebiet als solches unberührt.
(Orientierungssatz der Redaktion)
VerfGBbg, Urteil vom 20.10.1994 - VfGBbg 1/93 -
IV. Verfassungsbeschwerden der Kreise Kyritz und Pritzwalk betreffend §§ 1 und 2 des Gesetzes zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte im Land Brandenburg, Kreisneugliederungsgesetz - KNGBbg (Art. 1 des Gesetzes zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte sowie zur Änderung weiterer Gesetze - Kreis- und Gerichtsneugliederungsgesetz - (KGNGBbg) vom 24. Dezember 1992
1. Gemeindeverbände gelten für das Rechtsbehelfsverfahren gegen ihre Auflösung als fortbestehend. Das Gleiche gilt, wenn sie sich nicht gegen ihre Auflösung, sondern lediglich gegen die neue gebietliche Zuordnung wenden.
2. Für das Rechtsbefehlsverfahren als fortbestehend geltende Landkreise werden grundsätzlich durch ihre zuletzt amtierenden Landräte vertreten.
3. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an kommunale Neugliederungen.
(Nichtamtliche Leitsätze des Gerichts)
Der Inhalt des Begriffes des öffentlichen Wohls ist nicht festgelegt. Er muss vom Gesetzgeber ausgefüllt werden. Der Gesetzgeber bestimmt mit den Zielen seines Gesetzes die für die Neugliederung maßgebenden Gründe des öffentlichen Wohls (Nds.StGH. Nds. MinBl. 1979, S. 547, 585). Bei Neugliederungsentscheidungen kommt dem Gesetzgeber innerhalb des von der Verfassung gesteckten Rahmens grundsätzlich eine politische Entscheidungsbefugnis und weite Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zu, dass er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe der Gebietsänderung selbst festlegen kann. Die Ausübung dieses gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums unterliegt nur einer eingeschränkten verfassungsrichterlichen Überprüfung.
Für die Kontrolle von Neugliederungsgesetzen durch das Landesverfassungsgericht gelten die gleichen Grundsätze, wie sie in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht und von den Verfassungsgerichten der Länder entwickelt worden sind (vgl. BVerfGE 50, 50, 51 f.; 86, 90, 107 ff.; Nds StGH Nds MinBl. 1979, 547, 586 ff.; StGH BaWü ESVGH 23, 1, 4 ff.). Das Verfassungsgericht darf sich nicht an die Stelle Gesetzgebers setzen. Es hat seine Nachprüfungen darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der verfassungsmäßigen Wertordnung widersprechen. Das Verfassungsgericht überprüft den Abwägungsvorgang darauf hin, ob der Gesetzgeber den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend ermittelt, seiner Regelung zugrunde gelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange ist dem Gesetzgeber soweit überlassen, als das mit einem Eingriff in den Bestand einzelner Gemeindeverbände verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsentscheidung getroffen hat (BVerfGE 86, 90, 109).
(Orientierungssatz der Redaktion)
VerfGBbg, Urteil vom 14.07.1994 - VfGBbg 4/93 -